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KAPITEL

1. Zum Stand der Forschung
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2. Mexiko
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3. Brasilien - Paul Frischauer, Stefan Zweig
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4. Liberaler Humanismus - politische Utopie - blutige Geschichte
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5. Alfredo Bauer
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6. Fritz Kalmar - Heimweh nach Österreich
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7. Trude Krakauer - Niewiederkehr
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8. Österreichische Exilschriftsteller/innen in Lateinamerika
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9. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Zwischen Heimweh und neuer Erkenntnis - Österreichische Exilliteratur in Lateinamerika


Und jede begrüßt er gerührt und beglückt und jede hält heimlich das Messer gezückt und stößt es ihm mitten ins Herz.

Wer seines Wegs im Niewiederland geht, der weiß es kaum, daß er das Messerlein sucht. Er geht nur und geht, um zu gehen.

Krakauer, Trude zeigen

Man muss diese Schwierigkeit der 'Verwurzelung' in Zusammenhang mit der Realität Kolumbiens sehen. Als die österreichischen Flüchtlinge nach Bogotá kamen, hatte die Stadt an die 300.000 Einwohner, heute hat sie offiziell 1,500.000, inoffiziell 6,000.000. Durch den fortwährenden Bürgerkrieg ist Entwurzelung im eigenen Land zum Schicksal eines bedeutenden Teils der kolumbianischen Bevölkerung geworden.

Um heimisch zu werden in einem neuen Land, bedarf es eines Blicks, der die zerrissene Oberfläche der Erscheinungen durchdringt, der hinter dem scheinbaren bloßen Hin und Her doch den geschichtlichen Zusammenhang erfasst. Heimisch wird man nicht in der Betrachtung von drei Bäumen, einem Zaun davor und mit dem Blick auf einen Hügel, heimisch wird man in einem spannungsreichen Geflecht von Enttäuschungen und Erwartungen, Niederlagen und neuen Versuchen. Aus einem solchen Heimischgewordensein in Argentinien heraus wirft Alfredo Bauer vielen Exilierten vor, "daß ein passives Abseitsstehen alles eher bedeutet als Respekt vor der [...] Nation", der man nun, so oder so, angehört. Die Erfahrung, zwei verschiedene Kulturkreise zu verstehen, den europäischen und den lateinamerikanischen, habe ihn die Achtung vor den "Eigenheiten aller Völker" gelehrt und ein Interesse an der ganzen Menschheit, nicht als hochfliegender Abstraktion, sondern in der Mannigfaltigkeit menschlichen Tuns. Er ist stolz darauf, das Land, in dem er nun lebt, zu verstehen und nicht in einem Gemisch "aus Minderwertigkeitsgefühl und Standesdünkel" nicht dazugehören zu wollen. Alfredo Bauer, ein scharfer und nicht müde werdender Kritiker argentinischer Zustände, erweist sich gerade darin als ein argentinischer Patriot, wenn wir dieses verfemte Wort für diese Haltung verwenden dürfen.

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