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KAPITEL

1. Lebensphasen
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2. Kramers 'klassische Periode', 1927 bis 1939 - Besonderheiten seines Exilschicksals
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3. Gescheiterte Rückkehr
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4. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Theodor Kramer (1897-1958)


Von - geschätzten - 130.000 österreichischen Flüchtlingen sind bis 1952 nur etwas mehr als 4.000 nach Österreich zurückgekehrt, ungefähr jeder dreißigste. Kramer ist offenbar einer von den vielen, die die damals schmale Sicherheit des Exils der breiten Ungewissheit in Österreich vorziehen, die von Misstrauen und Abscheu gegen Menschen erfüllt sind, die gestern die Judenverfolgungen zumindest gebilligt haben und die überlebenden Opfer heute als "Hitlers Unvollendete" bewitzeln.

Die Rückführung einzelner Emigranten, losgelöst vom allgemeinen Zusammenhang einer wirklichen "Entnazifizierung" (ein schrecklicher Ausdruck übrigens, der unterstellt, das Problem sei durch Elimination zu lösten), einer ernsthaften Wiedergutmachung, gerinnt zur Versorgung. Versorgung ist ein klassischer Begriff bürokratischer Nächstenliebe: Sie setzt den, dem sie zu helfen vorgibt, zum Objekt herab. Die Versorgung beginnt, wo einer in den mitleiderregenden Zustand geraten ist, sich nicht mehr selber helfen zu können. Zweierlei wird dabei unterschlagen: erstens, dass die Emigranten ein Recht auf Wiedergutmachung, nicht eine Option auf Mitlied hatten; zweitens wird der Anspruch der Emigranten, an der Gestaltung der Verhältnisse, auf welchem Gebiet auch immer, aktiv teilzuhaben, abgeschnitten. Eine Schar Wohlmeinender korrespondiert über die Versorgung Kramers, und kaum einer von diesen Wohlmeinenden pflegt auch nur einen Gedankenaustausch mit Kramer, was in Österreich, z. B. auf kulturellem Gebiet, nun zu tun sei. Wie Matejka Kramer einmal bittet, Vorschläge zur Gestaltung eines österreichischen Bauernkalenders zu unterbreiten, antwortet ihm Kramer sofort eifrig, ausführlich, erfreut. Diese Reaktion sticht signifikant von dem sonstigen hinhaltenden Ton ab, dessen sich Kramer im Briefwechsel mit Matejka und anderen befleißigt. Sie erhellt, wie man es anstellen hätte müssen, um die Emigranten für Österreich wieder zu "gewinnen".

In Österreich ist Versorgung meistens mit dem besonderen Witz verbunden, dass die Opfer des Faschismus zu Objekten einer Versorgung gemacht werden, die in der Regel einfach nicht stattfindet. Erst 1956 wird Kramer über Vermittlung Franz Theodor Csokors und des PEN-Klubs zur Ausfüllung eines Fragebogens des Hilfsfonds für politisch Verfolgte angehalten, um dann zu erfahren, "daß ich in eine Gruppe eingereiht werde. Erst nach dem 10.6. 1957 wird es sich entscheiden, ob diese Gruppe überhaupt was kriegt, und dann fragt es sich, was und was." (Brief an Hilde Spiel, 23.8. 1956) Wer also bis 1955 nicht die Gelegenheit ergriffen hatte, sich durch seinen Tod der Wiedergutmachung zu entziehen, konnte seit 1956 in der Hoffnung, immerhin einen Fragebogen ausgefüllt zu haben, weiterleben. Die Versorgung, die stattfinden sollte, ermutigte offizielle Kreise dazu, die Opfer des Faschismus derweil als Schaustücke für den Beitrag, den Österreich nach dem Moskauer Memorandum für seine Befreiung zu leisten hatte, in Gebrauch zu nehmen. Am 16. Oktober 1955 schreibt Kramer an Hilde Spiel:

"Die Großzügigkeit des Neuen Österreich wurde mir eindringlich vor Augen geführt. Für eine Anthologie will man etliche zwanzig Gedichte von mir abdrucken, das Werk soll vornehmlich verteilt werden an ausländische Bibliotheken (um sich in guten Geruch zu bringen), jedoch der Autor bekommt nicht einen Schilling Anerkennungshonorar."

Csokor, Franz zeigen

Kramer führt all die Jahre einen verbissenen Kampf um seine Selbstständigkeit. Er klammert sich, trotz Überarbeitung, schwerer Krankheit, immer neuen Schwierigkeiten, in der englischen Kleinstadt Guildford geduldet zu werden, an seine Stellung als Bibliothekar. Hier, an diesem Punkt, muss er festhalten. Das Festhalten ist angesichts seines sich verschlechternden körperlichen Zustandes und der damit verbundenen effektiven Unmöglichkeit, etwas Neues anzufangen, seine einzige Chance, souverän zu bleiben. Seine ständigen, geradezu hypochondrischen Klagen über seinen Gesundheitszustand, dazu die Betteleien, mit denen er niemanden ungeschoren lässt, sind Betriebsmittel dieser seiner bedrohten Souveränität. Er bettelt, um kein Bettler zu werden.

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