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KAPITEL

1. Einleitung
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2. Erich Fried und Hans Schmeier im britischen Exil
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3. Identitäten
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4. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Erich Fried (1921-1988) und Hans Schmeier (1925-1943)


Tragen der Welt Zerfall und schon des Neuen Qual in einem Sein.

Wir sind das Zukunftswort und sind ein Strauch, verdorrt in Wüstenein. (Zitiert nach: Mut. Gedichte junger Österreicher. London 1943, 38)

Das Gedicht lehnt sich an die Form des Sonetts an und scheint somit dem zu entsprechen, was man so im allgemeinen über die Funktion des Sonetts in der Lyrik des Exils und des Widerstandes sagt: dass die strenge Form des Sonetts der Abwehr einer als "chaotisch" empfundenen Welt, der Bewahrung der eigenen bedrohten Identität diene, und dass die Hinwendung zum Sonett überhaupt den ästhetisch-restaurativen Tendenzen, dem Bekenntnis zu Tradition und überliefertem Wert entspringe, die der Lyrik jener Zeit (1930-1950) eben eigneten. Man verzeihe mir, wenn ich schlampige Gedanken auch noch schlampig wiedergebe. Man beruft sich zum Behufe solcher Deutung des Sonetts gern auf Theodore Ziolkowskis Aufsatz "Form als Protest. Das Sonett in der Literatur des Exils und der Inneren Emigration" (R. Grimm/J. Hermand (Hg.): Exil und innere Emigration. Frankfurt/M. 1972, 153-172).

Sonett zeigen
Sonett zeigen

Ziolkowski betont jedoch auch, dass die "Vorliebe für das Sonett ... in deutlichem Kontrast zum ästhetischen Geschmack der Reichsschrifttumskammer" stehe, dass es "im Gegensatz zu den 'arteigenen' Formen als eine betont fremde oder sogar 'entartete' Gattung" gegolten habe. (Th. Ziolkowski, 158 bzw. 162.) Damit erinnert Ziolkowski auch an den Ursprung des Sonetts in der italienischen Literatur, an die mit ihm gewonnene Selbstständigkeit des lyrischen Ausdrucks gegenüber dem Epischen. Auch hier, bei Hans Schmeier, ist die Anlehnung an die Sonett-Form nicht einfach als Sehnsucht nach einem sicheren Gehäuse zu deuten, in dem eine prekäre Zuflucht des erschütterten Selbstgefühls gesucht wird, sondern legitimiert sich aus dem Trotz, den dieses Gedicht, verdeckt zwar, zum Ausdruck bringt: Dass überhaupt ein Widerspruch zwischen der Zukunft und dem Zerfall der alten Welt ausgedrückt wird, behauptet doch ein Recht auf Gegenwart, auf eigene Entfaltung: versucht eine (lyrische) Abgrenzung gegen den die Individualität und ihre "Selbstverwirklichung" aufhebenden (epischen) Mahlstrom der Erwartungen. Doch bleibt dies ein durch die Sonett-Form vermittelter Subtext des Gedichts.

Leben in einer Zwischenzeit - wir kennen dieses Geschichtsbewusstsein aus den philosophischen Schriften Heinrich Heines: Die alte Welt ist zerfallen oder noch im Zerfall begriffen, liegt, "Traum aller toten Geschlechter als ein Alp auf den Gehirnen der Lebenden" (Karl Marx), und eine neue Welt ist noch nicht entstanden, ist nur erst "Qual" und "Krampf", nicht gelebte Wirklichkeit. Der junge Flüchtling, der das Gedicht "Widerspruch" schreibt, ist zwar physisch auf Erden noch vorhanden, aber nur als Gefäß eines stählernen Willens, nach der Zerschlagung des nationalsozialistischen Mordregimes und der für gewiss angesehenen Rückkehr in die Heimatstadt Wien eine neue Wirklichkeit zu schaffen. Dieses Individuum, zusammengehalten von einem Willen, der nicht abreißen darf, und zerrieben von dem Widerspruch zwischen Nicht-mehr und Noch-nicht, schöpft seinen Mut und Glauben aus der Verzweiflung.

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