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KAPITEL

1. Exil und Sprache
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2. Sprachwechsel - Übersicht
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3. Fallbeispiele
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4. Mehrsprachigkeit - Literarisches Übersetzen: Hilde Spiel - Paul Celan
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5. Anhang
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Primus-Heinz Kucher:
Sprachreflexion - Sprachwechsel im Exil


Für die jüngeren Autor/inn/en stellte sich die Frage z. T. unter anderen Aspekten, überschnitt sich in manchen Fällen der Gang ins Exil doch mit der Entscheidung, schriftstellerisch tätig zu werden. Bei Arthur Koestler (1905-1983) haben wir es mit einem solchen Fall zu tun. Sein 1937 erschienenes Gefängnistagebuch "A Spanish Testament" markierte zugleich die Abkehr vom vorwiegend journalistischen Schreiben hin zur ernsthaften Literatur und begründete seinen Weltruf als Autor.

Koestler, Arthur zeigen
Koestler, Arthur zeigen
Koestler, Arthur zeigen

Jean Améry wiederum überlegte, ins Französische zu flüchten, und führte dafür sprach-politische Motivationen an: "daß du das Französische usurpiertest, weil man das Deutsch dir gestohlen hatte und weil Frankreich in seiner Holdheit [...] dir als der dialektische Widerspruch erschien zu dem Koloß östlich des Rheins" (Jean Améry, Unmeisterliche Wanderjahre, 65). Sprache und Identität wurden ihm fortan zu einem existentiellen Thema, zu einer Erfahrung, die den Schriftsteller "zugleich reicher und ärmer macht" (Jean Améry, Leben zwischen den Sprachen, 1976, 37). Die mehrsprachige Signatur einiger seiner Texte ist dadurch bestimmt, dass einerseits die "Assoziationshöfe der Wörter [...] nicht in allen Sprachen die gleichen sind" und die Kehrseite der polyglotten Faszination die Gefahr des Absturzes in ein "mir höchst widerwärtiges 'Emigrantowatsch'" mit sich führt. (Jean Améry, 1976, 37) Noch in einem seiner letzten Briefe umkreiste er die Frage, warum er sich 1945 nicht entschlossen hatte, "ein französischer Schriftsteller zu werden." (G. Lindemann, Versuch, 1981, 9).

Die Entscheidungen waren also in jedem einzelnen Fall von spezifischen Faktoren und z. T. auch von Zufällen abhängig. Eine generelle Linie lässt sich nicht feststellen, selbst bei Generationsgenossen wie Erich Fried, der wohl die Sprachkompetenz gehabt hätte und sie für das Übersetzen Shakespeares auch nutzte, aber für die eigene Lyrik das Deutsche wählte, oder Michael Hamburger, Frederick Morton (Fritz Mandelbaum) oder Georges Arthur Goldschmidt. Zweifellos waren jene Schriftsteller/innen im "Vorteil" (soweit man dies behaupten kann), die entweder aus einer mehrsprachigen Umgebung (Prag, Budapest, Czernowitz z. B.) kamen oder die sich zuvor bereits übersetzerisch betätigt haben wie z. B. Mimi Grossberg oder auch Stefan Zweig.

Grossberg, Mimi zeigen
Zweig, Stefan zeigen
Améry, Jean zeigen

Aufschlussreich für die komplexe Problemlage ist z. B. das von Arthur Goldschmidt auf Deutsch verfasste Nachwort zur Erzählung "Un jardin en Allemagne" (1986)/"Ein Garten in Deutschland" für die deutsche Ausgabe 1988:

"Eine Erzählung wie 'Ein Garten in Deutschland' hätte in der Muttersprache (das Deutsche) wegen der erlebten Vergangenheit und der Erfahrung der Trennung nicht so entstehen können, wie sie eben im Französischen entstanden ist, ja sie wäre wahrscheinlich gar nicht entstanden. Erst die Übertragung (diesmal im Freudschen Sinn des Wortes) in eine Sprache, in welcher die Erinnerung alles erfinden mußte, ohne es erlebt zu haben, machte das Schreiben an diesem Buch möglich." (Goldschmidt, Garten, Nachwort, 1991, 184)

Goldschmidt, Arthur zeigen

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