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KAPITEL

1. Exil und Sprache
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2. Sprachwechsel - Übersicht
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3. Fallbeispiele
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4. Mehrsprachigkeit - Literarisches Übersetzen: Hilde Spiel - Paul Celan
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5. Anhang
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Primus-Heinz Kucher:
Sprachreflexion - Sprachwechsel im Exil


"Die Arbeit an Counting my Steps (der deutsche Titel hieß Selbstporträt) nahm drei Jahre in Anspruch. Ich schrieb das Buch auf englisch und schreibe seither nur noch in dieser Sprache, eine Leistung, die mir weit größer als das Schreiben selbst vorkam. Den Mund aufzumachen, sich nicht zu scheuen, die eigene private Perspektive aller Welt zu zeigen, durch das eigene Fernrohr und in einem Stil, der leicht übersetzbar scheint (auch wenn das nicht immer so ist), war der langersehnte Beweis: Wenn es sein muß, kann man überall zu Wort kommen, man muß es nur stark genug wollen. Ohne diese Illusion hätte ich wahrscheinlich nie den Mut dazu gefunden." (Lind, Gegenwind 1997, 213)

Von zahlreichen Umstellungen innerhalb der einzelnen Kapitel abgesehen, die zwar manche Aspekte unterschiedlich (vom Umfang wie von der sprachlichen Gestaltung her) gewichten, aber an der Substanz kaum grundlegende Veränderungen vornehmen, zeigt sich die doppelte Autor-Präsenz vor allem in zwei Bereichen/Kontexten: zum einen in den Abschnitten zur Physiognomie der Londoner Metropole, die im Englischen generell knapper gehalten sind. In der deutschen Ausgabe sind sie um Details und um Episoden bzw. Erfahrungen, die Lind jedoch wichtig zu sein scheinen, angereichert: z. B. Soho, das "puritanische Prinzip des Saufens an der Bar", den englischen Pragmatismus, das Verhältnis Juden-Christen am Beispiel eines holländischen Gärtners, der untergetauchte Juden beherbergte etc. Zum anderen betrifft es die zentrale Frage der Notwendigkeit des Sprachwechsels. In Crossing wird dieser als geradezu existentielle Bedingung eines Weiter-Leben-Könnens definiert und im selben Absatz über Kafka und Canetti dreimal mit der Unmöglichkeit einer Rückkehr in eine deutschsprachige Umgebung verknüpft. In Gegenwind wird diese Polarisierung (Notwendigkeit/Unmöglichkeit) hingegen sichtbar abgeschwächt, allein schon durch die andere Positionierung, wenn auch nicht aufgegeben.

"As I was never again planning to live in a German speaking land, I needed this new language just like a nomad needs his oasis on his long journey." (Lind, Crossing, 50)

Weitere sichtbare Nuancierungen finden sich v. a. im 6. Kapitel im Umfeld der Reflexionen über das Überleben und die Zeugenschaft sowie im Verhältnis zum Marxismus/Stalinismus/Zionismus. Die programmatisch zu verstehenden Passagen über die "Last" der Zeugenschaft - "Es muß aber den Moment gegeben haben, als ich mir im stillen schwor, sollte ich überleben, darf ich nie aufhören von dem Grauen zu berichten ..." (Gegenwind, 64) - sind im englischen Text in dieser expliziten Form nicht anzutreffen, während hingegen das entsprechende englische Kapitel mit einem Absatz über Linds Bekenntnis zu einer Art "oneman Zionist Defence League" bzw. zum "jewish nationalism" (Crosssing, 61) gegen die Gefahr einer linken, internationalistischen Vereinnahmung im deutschsprachigen Text fehlt, u. a. die aufschlussreiche Passage:

"The fact that so many Jews were in the governments of various East European countries - Hilde Benjamin and Walter Abusch in East Berlin, Rakosi in Budapest, Anna Pauker in Bucharest - was neither good for the Jews nor for the world ..." (Crossing, 62)

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