zurück zum Inhaltsverzeichnis

KAPITEL

1. Rudolf Frank: "Fair play". Entstehung, Edition, kritische Urteile
anzeigen

2. Wien als Stadt des Exils
anzeigen

3. Geschichte und Roman: Historische Innensichten. Wiener Theater und Kleinkunstbühnen
anzeigen

4. Geschichte und Roman: Historische Außensichten: Sozioökonomische Gegebenheiten, politische Strukturen, ideologische Legitimationsmuster
anzeigen

5. Abschließende Bemerkungen
anzeigen

6. Anhang
anzeigen

 

Beatrix Müller-Kampel:
Als Exilant im austrofaschistischen Wien - Rudolf Franks autobiographischer Zeitroman "Fair play"


Dem Stück ging ein von Friedrich Schreyvogl übertragener Einakter von Emmet Lavery (Poughkeepsie, N. Y. 1902 - 1986), 'Monsignores große Stunde', (1935, u. d. T. "Monsignor's Hour") voraus, in der Albert Bassermann die Rolle des Papstes übernommen hatte. Giraudoux hatte sein zentrales Motiv - den unausgesetzt in Abrede gestellten, zugleich von allzu vielen vorangetriebenen und letztlich unabwendbaren trojanischen Krieg - auf Frankreich und Deutschland gemünzt. Dieser Krieg (und mit ihm jener, der bereits 1936 zu befürchten stand) wird als zwangsläufige Folge von Machtgelüsten, Borniertheit, Gewaltbereitschaft und männlichem Ehrgefasel entlarvt, gegen die alle Rhetorik, Drohungen und Friedenslisten der Hauptfigur Hektor nichts vermögen, denn (wie Andromache es formuliert):

"Beim Nahen des Krieges sondert sich ein neuartiger Schweiß von allen lebenden Wesen ab; alle Ereignisse überziehen sich mit einem neuen Lack: es ist die Lüge. Alle lügen. [...] Auch die Empörung der Griechen [über den Raub der Helena] ist eine Lüge." (Giraudoux 1961, 418)

Im Theater in der Josefstadt hatte man sich statt einer wörtlichen Übersetzung für den außen- wie innenpolitisch höchst beziehungsreichen Titel "Es kommt nicht zum Krieg" entschieden. Er ließ sich im Wien des Jahres 1936 als Wunsch- und Beschwörungsformel eines Staates verstehen, über den laufend massive Anschuldigungen, Drohungen und erpresserische Nötigungen aus Hitler-Deutschland hereinbrachen. Das Stück, vermerken die Rezensenten, behandle in antikem Gewand Themen "von brennender Aktualität", (vgl. Reichspost vom 8.11. 1936, 2) stelle "Fragen, die uns alle tief berühren", (Rieger in Neue Freie Presse vom 7.11. 1936, 8) und artikuliere "Vermutungen und Befürchtungen", die "heute leider bereits wieder in der Luft zu liegen scheinen." (Rieger in Neue Freie Presse vom 8.11. 1936, 1)

Bereits einen Tag nach seiner Ankunft im Dezember 1936 drängte es Rudolf Frank - wie dann seine Hauptfigur Konrad Holler im Roman - in das Theater in der Josefstadt. Auf dem Programm standen Laverys "Monsignores große Stunde" und Giraudoux' "Es kommt nicht zum Krieg". "Rechts in der Loge", vermerkt Frank in seinen Memoiren, saß Dr. Schuschnigg, der Kanzler des Österreichischen Bundes"." (Frank 1960, 343) Nach Ernst Lothar war Kurt Schuschnigg "wiederholt Zuschauer in der Bühnenloge der Josefstadt, meist auf einem Stuhl im Hintergrund, um jedes Auffallen zu vermeiden, dem er, auch darin österreichisch, abhold blieb." (Lothar 1961, 90) Konrad Holler wird von einer ehemaligen Kollegin ins Theater in der Josefstadt eingeladen:

Lothar, Ernst zeigen
Schuschnigg, Kurt (von) zeigen

"Das Stück, das er sehen soll, ist von Giraudoux. Ein zweites, das ihm vorausgeht, handelt von einem Monsignore im Vatikan." [...] Es gibt nicht nur Gesinnungslumpen, gierige Nichtskönner, die <bessere> Rivalen mit <Bürospionage und> Justizmord aus dem Weg räumen. Es gibt - der Vorhang ist aufgegangen - noch den herrlichen Schauspieler Bassermann. Albert Bassermann, homo liberalis, homo ingenius, <gentiluomo, du bist nicht bloß Erinnerung mehr,> du lebst, redest <, sprichst Seele> in den unverfälschten Lauten deiner verfälschten Heimat! [...] Rechts in der Loge, das hat man schon bei Beginn <neben und hinter ihm> getuschelt, sitzt der Kanzler des österreichischen Bundes und lächelt sympathisch. Sehr gelegen kommt ihm das, wie hier auf der Bühne von Dichters und Schauspielers Gnaden der Heilige Vater als <klügster und> bester der Menschen verklärt wird, als homo liberalis, das paßt in den Kram seiner Politik. Konrad kennt das <reservierte> kurzsichtige Gesicht des Kanzlers aus Bildern und Wochenschau: ein Studentengesicht, <das Geschau eines Musterschülers,> seine Lehrer waren Jesuiten, sind es noch. Vieles und fleißig hat er bei ihnen studiert, sein Kopf ist voll von Erdkunde und Ultra-Montanindustrie, von Landes-, Meeres-, Kirchen- und Kunstgeschichte, Mathematik und Landesverteidigung, Rechtslehre, Poesie, Malerei, Musik und Katechismus. Nur das Proletariat hat er nicht durchgenommen. Das Wort ist ihm unbehaglich, schon seit seiner Leutnantszeit. Er sagt <lieber> 'Volk', noch lieber 'christliches Volk', denn dieses ist eins mit <der Kirche, und die Kirche ist Gottseidank eins mit> ihm und mit der Schwerindustrie, dem Heer, dem Großgrundbesitz, der Verwaltung und gesegnet von Wiens Kirchenführer und Kardinal, ohne dessen Empfehlung kein Schornsteinfeger aufs Dach und kein Rechtsanwalt auf den Ministersessel gelangt. [...] So wenig wie 'das Proletariat' hat Kurt Schuschnigg im Jesuitenkolleg zu Feldkirch 'den Menschen' gehabt. Wozu den Menschen? Er ist <der> Kanzler im Lande der Träumer und träumt sich die Menschen seiner Umgebung nach seinem Bild: treue Gefolgsmänner, in ihrer Hut liegt das Land in Sicherheit und Ewigkeit, Amen. Und träumt den Traum von großer Monarchie <,siegreicher Diplomatie> und schwört auf Habsburgs Wahlspruch: Bella gerant alii, laß die andern Krieg führen, mein Österreich siegt mit weiblicher List und Anmut. Das hat er im Kloster <und den Palästen> gelernt: die urösterreichische Technik des Ostens: <Hinzuhalten, hinaus zu ziehen, liebenswürdig um alle Kanten zu biegen,> zu zögern, zu warten, <Sieger mit Schmeicheleien zu ködern,> viel zu versprechen und wenig zu halten. Wien- <Österreich> ist des Ostens vorgeschobenste Bastion. Er muß sie halten mit aller Kunst und <Technik und> ohne Blutvergießen. Bella gerant alii, nie wieder darf es bei uns zum Krieg kommen, <nie, und es kommt nicht zum Krieg,> und ?Es kommt nicht zum Krieg' ist der deutsche Titel des französischen Stücks, über dem nach der Pause der Vorhang aufgeht. [...] Der macht es beinah wie ich, der Hektor, denkt Schuschnigg: und ganz die gleiche Situation... merkwürdig... Er will sein Troja, ich will mein Österreich, er will Frieden, ich will den Frieden, bloß die andern, die wollen ihn nicht: die Böotier. Schau, wie der Kanzler Hektor von Troja alles dransetzt, um diesen Böotiern ja keinen Vorwand zum Angriff zu bieten, da kann ich mir sogar noch ein Beispiel dran nehmen, wie der Held alle Kränkungen einsteckt, Rechts- und Grenzverletzungen still übersieht. Selbst die Ohrfeige - das ist ja allerhand - quittiert er mit überlegenem Lächeln. [...] Das ist ein Stück, wie für ihn geschrieben, ein Lehrstück und Warnstück. Dieses Troja von Giraudoux, mit seiner alten Kultur und Musik und <lieblichen Weisen und> Bodenschätzen bis dorthinaus - das ist ganz mein Österreich. <Ein Wunder, daß das die Polizei und die Kunststelle haben durchgehen lassen, da sag noch einer, bei uns wär es nicht demokratisch. Vielleicht haben sie's auch nicht gemerkt, huscht zwischen den funkelnd geschliffenen Worten der Bühne durch den Kanzlerkopf und:> Was haben diese gerissenen brutalen Gauführer aus Theben, Lakedämonien, Kreta, Korinth, Oberbayern nicht alles getan: Frevel über Frevel: Eisenbahnen, Brücken, Telegrafenanlagen gesprengt, die Grenzen gesperrt, den Handel ruiniert, Pressevertreter verhaftet, im Rundfunk gehetzt, mit Steuerverweigerung, Raucherstreik, Wirtschaftsboykott den Bruderstaat kujoniert. Dollfuß haben sie umgebracht, das Land mit einem Netz von Naderern und Partisanen überzogen, mit Attentaten, Fememorden, Vertragsbrüchen ohne Zahl seine Souveränität mit Füßen getreten, seine Existenz als Staat ignoriert, und zugleich jede begangene Tat geleugnet, ihm selbst, gegen den sie gerichtet war, und seinen treuen Landschützern in die Schnürschuhe geschoben. [...] Mais la guerre de Troyes [!] n'aura pas lieu, es kommt nicht zum Krieg. Und es kommt doch zum Krieg. Hektor fällt, und Kurt - [...] Schuschnigg, Kurt, <Primus,> weißt du, was Hekuba ist? Ilion, Reinhardt, Giraudoux, <Toscanini,> Altenberg, Hofmannsthal, Grillparzer, Homer, Vergil sind den Böotiern Hekuba. Musterschüler, du denkst verkehrt: Du denkst ja wie ein homo liberalis! Hand auf das gestärkte Frackhemd: bist du denn einer? Warum hast du die Liberté deines Landes in <Trümmer und> blutige Klumpen geschossen? Du sagst, du wolltest keinen Krieg, kein Blutvergießen? Ist Proletarierblut kein Blut? Ist Bürgerkrieg kein Krieg? Denk richtig, Kurt! Du hast ein NS-Juniabkommen geschlossen und <weder an den dreißigsten NS-Juli gedacht noch> nicht an den fünfundzwanzigsten Juli, den Mordtag deines Vorgängers <im Amt>, gedacht. Was folgt daraus, Schüler von Stella Matutina? - NS-Vertrag kongruent NS-Verrat. NS-Freundschaft kongruent NS-Totschlag. Lerne das auswendig, Primus, sonst wirst du das Ziel deiner Klasse schwerlich erreichen." (Frank 1998, 86-91/Ts 76-79; zu den historischen Anspielungen s.u.)

Dollfuß, Engelbert zeigen
Reinhardt, Max zeigen
Reinhardt, Max zeigen

S. 9/23 vorherige Seite - nächste Seite

  

IMPRESSUM | 2002 © UNIVERSITÄT SALZBURG