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KAPITEL

1. Problemaufriss
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2. Das Verhältnis der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur zum Exil
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3. Literaturgeschichten und Zeitschriften über das Exil
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4. Exilerfahrung und Poetologie
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5. Anhang
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Primus-Heinz Kucher:
Exil und literaturgeschichtliche Reflexion: Überlegungen zu einem (un)auffälligen Missverhältnis


Klaus Briegleb hält der deutschen Nachkriegsliteratur Reflexionsarmut insofern vor, als diese eine Verweigerung der Auseinandersetzung mit der im Exil entstandenen Texte kultiviert habe. Kategorien wie Bewusstheit und Gedächtnis seien auf merkwürdige Weise desavouiert worden: "Das Trauma eines Blickwinkels von draußen, der Gedanke dieses Blicks erschreckt noch immer" (Klaus Briegleb, 1991, 59).

Dieses Trauma - nur Peter Weiss' "Ästhetik des Widerstandes" und Ingeborg Bachmanns "Todesarten-Zyklus" werden davon ausgenommen - erschien ihm durch emphatische Bekenntnisse zum Antifaschismus und zur Trauerarbeit literarischer Vatermörder durch Exponenten der 68er-Generation zugedeckt. Diese Generation habe es verstanden, die "Mördersprache" nach anfänglichem Misstrauen wortmächtig neu zu okkupieren, ihr sei aber ein konkreter Dialog mit der vertriebenen Dichtung kein tieferes Anliegen gewesen. Selbst Autoren, denen eine exilgeprägte poetologische Epochenleistung zugebilligt wird, allen voran Paul Celan, seien davon nicht verschont geblieben. Trotz breiter Vereinnahmung seiner "Todesfuge" habe er sich alsbald neuerlicher Exilierung als Jude in deutscher Fremde (vgl. Kommentar von Theo Buck, 1999, 9) gegenübersehen müssen.

An Reinhard Federmann lässt Paul Celan 1962 einen Brief denkwürdig ausklingen: "Pawel Lwowitsch Tselan/Russkij poët in partibus nemetskich infedelium/ - 's ist nur ein Jud -". Eine vielsprachige Collage, der das triste Eingeständnis zugrunde liegt, sich aus dem erworbenen sprachlichen Territorium neuerlich exiliert, auf das traumatische Stigma der Andersheit, der Nichtzugehörigkeit verwiesen zu sehen. Aber hat nicht schon Alfred Döblin 1946 bitter bilanziert? "Und als ich wiederkam, da - kam ich nicht wieder." Obwohl derzeit ein zaghaftes Einsetzen des vermissten inner-literarischen Dialogs bei österreichischen bzw. mit Österreich in Beziehung stehenden Autor/inn/en konstatiert werden darf (z. B. bei Gerhard Roth, Peter Henisch, Jakov Lind, Robert Schindel, Anna Mitgutsch, Marlene Streeruwitz), bleibt die Frage im Raum, ob dies zu substantiellen Korrekturen am Stellenwert unseres Gegenstandsbereichs geführt hat.

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