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KAPITEL

1. Rudolf Frank: "Fair play". Entstehung, Edition, kritische Urteile
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2. Wien als Stadt des Exils
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3. Geschichte und Roman: Historische Innensichten. Wiener Theater und Kleinkunstbühnen
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4. Geschichte und Roman: Historische Außensichten: Sozioökonomische Gegebenheiten, politische Strukturen, ideologische Legitimationsmuster
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5. Abschließende Bemerkungen
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6. Anhang
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Beatrix Müller-Kampel:
Als Exilant im austrofaschistischen Wien - Rudolf Franks autobiographischer Zeitroman "Fair play"


Noch in seiner Abschiedsrede und danach in seiner Rechtfertigungsschrift verteidigte Schuschnigg die widerstandslose Kapitulation vor dem Einmarsch Hitlers mit dem Gebot, es dürfe kein deutsches Blut vergossen werden. (vgl. Schuschnigg 1978, 75) Geradezu prophetisch hatte dies übrigens Joseph Roth (der sich mit der austrofaschistischen Österreich-Ideologie noch 1935 durchaus eins wusste - eine weitere historische Paradoxie) einige Monate vor dem 'Anschluss' vorausgesehen:

Roth, Joseph zeigen
Roth, Joseph zeigen
Roth, Joseph zeigen
Schuschnigg, Kurt (von) zeigen

"Historische Paradoxie": Und das sogar in der Zeitschrift "Der Christliche Ständestaat": "Wir sind nicht 'der zweite deutsche Staat', sondern der erste, sozusagen: der allererste deutsche und übernationale und christliche Staat. [...] Denn die wahren Worte, die in Österreich 'zuständig' sind, wären, universal, katholisch, übernational, gottgläubig und gottwohlgefällig." (Roth 1974, 445)

"Dieser Alpenmensch, der von Österreich nichts versteht" - gemeint ist Kanzler Schuschnigg - "wird Österreich verraten, weil er nicht will, daß Deutsche auf Deutsche schießen." (Roth 1974, 499) Doch auch auf seiten der Sozialdemokratie sorgte die historiographische Selbstvergewisserung für Überraschungen: so etwa die großdeutsch-deutschtümelnden Neigungen von Parteiführern, Parteifunktionären und Parteibasis, die selbst nach dem 'Anschluss' weiterwirkten und ein rückhaltloses, einmütiges Eintreten sozialdemokratischer Exil-Organisationen für die Wiedererrichtung eines eigenständigen österreichischen Staates verhinderten. Für einen solchen Staat hatten sich während des autoritären Ständestaates und danach in der Emigration lediglich Kommunisten, Christlichsoziale und Monarchisten vorbehaltlos eingesetzt - in erster Linie mit Berufung auf eine eigenständige österreichische Kultur. (vgl. stellvertretend Alfred Klahr, Mitglied des ZK der KPÖ, im illegalen Organ der KPÖ "Weg und Ziel" 1937, In: DÖW 1975, 285 f.)

Klahr, Alfred zeigen
Kommunistische Partei Österreich zeigen

Alles in allem durchziehen Paradoxien, Inkonsequenzen und Inkonsistenzen die österreichische Geschichte der Jahre 1933 bis 1938. Ein Kanzler, der ein faschistisches System aufrichtet, wird von Faschisten ermordet; sein Nachfolger bekämpft den Faschismus im eigenen Land mit faschistischen Mitteln, zeigt sich als künstlerisch-literarisch und musikalisch überaus bewanderter Mann und verschärft die Zensur, führt Deutschtums-Ideologie gegen deren selbst ernannte Statthalter ins Treffen, geht mit einer Reihe von Maßnahmen scharf gegen die Nationalsozialisten im eigenen Lande vor (vgl. Binder 1991, 68) und sucht beständig den Ausgleich mit dem nationalsozialistischen Staat, (vgl. Schuschnigg 1978, 29 f.) lässt Sozialdemokraten ins Gefängnis werfen und bittet deren Führer zum Gespräch.

Die aus dem nationalsozialistischen Deutschland vertriebenen Juden, Demokraten und sozialistischen Aktivisten gelangten in ein Land, das bereits bis in die höchsten Regierungsstellen hinein vom Nationalsozialisten durchsetzt war, in dem der Antisemitismus grassierte, die Demokratie zerschlagen war und man sozialistisches Engagement bereits im Keim zu ersticken suchte. "Dies alles und noch viel mehr", versichert der Erzähler von Franks Roman, "trägt sich auf der kleinen Insel zu, welche in Wirklichkeit ein tausendjähriges Monstrum ist." (Frank 1998, 210) Konzeptionell ließ der Autor bei der Fiktionalisierung des Erlebten und Erlesenen ein Prinzip walten, wie man es sich eher vom Historiographen oder Geschichtswissenschaftler als vom Geschichtsdichter erwartet hätte: bei allem liberal-humanistischen und sozialistischen Engagement Differenzierungen vorzunehmen, Widersprüche gelten zu lassen und selbst die Perspektive des Gegners zu rekonstruieren (beispielsweise durch die quellenkritische Anverwandlung von Schuschniggs Rechtfertigungsschrift "Dreimal Österreich" aus dem Jahre 1937).

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