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KAPITEL

1. Biographische Daten und Kontexte
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2. Hilde Spiel - Die hellen und die finsteren Zeiten - Erinnerungen 1911 - 1962
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3. Hilde Spiel - "Der kleine Bub Desidere" - Frühe Erzählungen
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4. Hilde Spiel - "Kati auf der Brücke", 1933
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5. Hilde Spiel - "Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation"
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6. Hilde Spiel - "Lisas Zimmer"
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7. Hilde Spiel - "Welche Welt ist meine Welt?"
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8. Hilde Spiel - "Rückkehr nach Wien" - Ein Tagebuch
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9. Anhang
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Wilhelm Kuehs:
Hilde Spiel (1911-1990)


"In die Lebensbeschreibung der Hauptpersonen sind immer wieder historische, philosophie- und kulturgeschichtliche Erläuterungen eingeschoben. Es werden die Lebensgeschichten der Menschen in ihrem [Fannys] Umkreis geschildert, die ihrer 'Berliner famille', ihrer bedeutenderen und oft weit bekannteren Glaubensgenossen Moses Mendelssohn, seiner Tochter Dorothea Mendelssohn, Henriette Herz und Rahel Levin. Man erfährt den Werdegang der Häuser Itzig und Enkeles, Arnstein, Gomperz, Wertheimer, Pereira und etlicher anderer, ihre Leistungen für die Herrscherhäuser, ihre Verdienste um Gemeinwohl und Kultur. Gelegentlich tritt Fanny sogar ganz in den Hintergrund, etwa wenn aus dem Jahre 1808 ausführlich über die Begegnung ihrer Schwester Cäcilie von Eskeles und deren Schwägerin Eleonore von Fließ mit dem in Franzensbad weilenden Goethe berichtet wird." (Strickhausen 1996, 183)

Fanny von Arnstein stellt sowohl was die Emanzipation der Frau als auch was die Assimilation der Juden anbelangt für Hilde Spiel einen Idealtypus dar. In einem Interview aus dem Jahre 1988 merkt Spiel dazu an:

"Eine Frau wie Fanny von Arnstein, die sich weigerte, eine der beiden Stellungen zu beziehen, die sich halb in der jüdischen und halb in der christlichen Welt bewegte, in beiden gleich zu Hause war und mit der Gelassenheit einer wahren Tochter der Aufklärung auf die orthodoxen wie auf die konvertierten ihrer Glaubensgenossen blickte - eine solche Frau war immerhin das Symbol der dritten Lösung der Judenfrage, die so vollkommen gewesen wäre, dass sie nicht durchgeführt werden konnte: wie jede andere Idee seit allem Urbeginn." (Strickhausen 1996, 186 f.)

Dass es nicht zu dieser fruchtbaren Symbiose der Religionen unter der Schirmherrschaft der Aufklärung kam, dafür macht Spiel Napoleon verantwortlich. Er attackierte die Aufklärung, und als Reaktion auf seine Feldzüge kam es zur Ausbildung des modernen Nationalismus, durch den im Laufe des 19. Jahrhunderts der Antisemitismus Nahrung und eine verhängnisvolle Dynamik erhielt.

Vor dem Erstarken des Nationalismus wurden Juden wegen ihres Glaubens diskriminiert. Dieser Art der Verfolgung konnte man sich durch die Taufe entziehen. Im 19. Jahrhundert taucht aber zum ersten Mal die Idee einer jüdischen Rasse auf. Die neue Qualität des Antisemitismus drückte sich zum Beispiel darin aus, dass die deutsch-österreichische studentische Kooperation "Teutonia" im Wintersemester 1877/78 den Arierparagraphen in ihre Statuten verankert. Ein Student jüdischen Glaubens wurde auch dann nicht mehr aufgenommen, wenn er sich taufen ließ. Der Volksmund war derber in der Ausdrucksweise, meinte aber dasselbe, wenn im Wien der Jahrhundertwende flächendeckend Sprüche wie "Was der Jude glaubt ist einerlei, in der Rasse liegt die Schweinerei!" angebracht wurden. (vgl. Moser 1995, 149 f.)

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