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KAPITEL

1. Rudolf Frank: "Fair play". Entstehung, Edition, kritische Urteile
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2. Wien als Stadt des Exils
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3. Geschichte und Roman: Historische Innensichten. Wiener Theater und Kleinkunstbühnen
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4. Geschichte und Roman: Historische Außensichten: Sozioökonomische Gegebenheiten, politische Strukturen, ideologische Legitimationsmuster
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5. Abschließende Bemerkungen
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6. Anhang
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Beatrix Müller-Kampel:
Als Exilant im austrofaschistischen Wien - Rudolf Franks autobiographischer Zeitroman "Fair play"


"Der Schauspieler Egdal liegt auf dem Schlafsofa unter der schrägen Dachwand und liest das Drama von der Beschießung von Tschapei [...] Es spricht ein Hoteldirektor, ein Barmixer antwortet. Es liegt etwas in der Luft ... Ein Boy bringt ein Telegramm, sein Adressat ist abgereist. Was steht darin? Es liegt etwas in der Luft ... Nicht nur der Barmixer, Boy und Hoteldirektor sind auf den Inhalt der Depesche neugierig. Auch Erwin möchte ihn endlich wissen. Es liegt mehr in der Luft als der Geruch von Alkohol, Schminke, Parfum und Haut, der aus der Hotelbar dringt. Die Gäste schwätzen, flirten, trinken, mixen Drinks und Spekulationen, eine verwitterte Lady verlangt nach der 'Times', da steht zwar nichts Genaues drin, aber es liegt etwas in der Luft. Schon hat der englische Oberst Hotelzimmer requiriert, die Gäste ahnen noch nichts, aber im Telegramm steht es, der Direktor hat es geöffnet, der Barmixer organisiert Bomben- und Luftschutz und spricht: 'Falls Sie es noch nicht wissen sollten, meine Herrschaften: Es ist nämlich Krieg.' Erwin befindet sich mitten im Krieg, den das kaiserlich imperialistische Japan gegen das friedliche Land der Mitte begonnen hat. [...] Erwin liest weiter. Er denkt nicht mehr an Hertas festen und kühlen Körper. Er fühlt das Leiden der zerrissenen Kreatur. Der Schauspieler Egdal liest und liest bis zum Ende. Hinter den Schluß des letzten Aktes schreibt er: 'Es wäre eine Schande, wenn dieses Stück nicht aufgeführt wird.' [...] Aber das gute Stück tuts nicht allein, man braucht Geld dazu. Und wenn auch alle umsonst probieren, und das werden sie, sie sind es gewohnt, nicht einmal die großen umworbenen Bühnen zahlen für Proben, selbst in diesem Fall braucht es noch Geld für Saalmiete, Uniformen, Dekorationen, Werbung, Beleuchtung, Druck der Programme, Schallplatten, Massetten, Rollenausschreiben. [...] Die Proben zum Chinastück haben seit einigen Tagen begonnen. [...] Und [sie] sprechen mit Zuversicht vom Fortgang der Proben und fragen sich, welchen Erfolg 'Die Beschießung der Tschapei' wohl haben würde. Die Weltgeschichte gibt ihrer Frage die vernichtende Antwort. Es ist nämlich in diesen Tagen die wirkliche Chinesenvorstadt Tschapei im Angesicht der europäischen Reservation von massierten Luftstreitkräften, schwerer Artillerie und Schiffsgeschützen in staubige blutige Moleküle zerschossen worden. [...] Und da reden noch etliche aus der Kollegenschaft, das Stück sei zu kraß, man müsse es mildern; das könne dem Wiener Publikum nicht zugemutet werden." (Frank 1998, 161-168)

Unter den quasi staatstragenden Großtheatern war es v. a. das private "Theater in der Josefstadt", das in Programmgestaltung wie Personalpolitik die in den Direktionen Max Reinhardt (eig. M. Goldmann, Baden bei Wien 1873-New York 1943; Direktion 1923-1926) und Otto Ludwig Preminger (Wischnitz 1906-New York 1986; Direktion 1928-1933) eingeschlagenen liberal-humanistischen Grundsätze weiterwalten zu lassen versuchte. Überdies setzte es starke Österreich-Akzente und spielte zu Toleranz und Pazifismus aufrufende Dramen. (vgl. Haider-Pregler 1999, 116)

Unter der Direktion von Ernst Lothar (eig. E. L. Müller, Brünn/Brno 1890-Wien 1974) fand zwischen 1935 und 1938 eine Reihe emigrierter Schauspieler Aufnahme, (vgl. Haider-Pregler 1999, 111 f.) unter ihnen auch der legendäre Mime Albert Bassermann (Mannheim 1867-Zürich 1952). Bassermann hatte Hitler-Deutschland nicht als politisch oder rassisch Verfolgter, sondern aus Solidarität mit seiner jüdischen Frau den Rücken gekehrt. Bassermanns Erklärung an das Präsidium der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger in Berlin, das u. a. im "Neuen Wiener Journal" vom 4. Mai 1934 abgedruckt wurde, lautete:

Reinhardt, Max zeigen
Reinhardt, Max zeigen
Preminger, Otto Ludwig zeigen
Lothar, Ernst zeigen
Bassermann, Albert zeigen

"Anfang Juli vorigen Jahres habe ich nach Beendigung des Ufafilms 'Ein gewisser Herr Gran' Berlin verlassen mit der Hoffnung, daß die Bestimmungen der deutschen Regierung bezüglich der Wirksamkeit unserer nichtarischen Kollegen (also auch meiner Frau) mit der Zeit sich abschwächen und zum großen Teil wieder aufgehoben würden [...] bald darauf erschien ein neuer Erlaß des Propagandaministeriums, der leider eine Verschärfung der obgenannten Bestimmungen in Aussicht stellte." Als das Leipziger Schauspielhaus Bassermann bat, ein gemeinsam mit seiner Frau geplantes Gastspiel doch alleine zu absolvieren, lehnte er ab. "Meiner Frau Vorschlag, sich von mir scheiden zu lassen, um das Gastspiel zu ermöglichen, kommt natürlich überhaupt nicht in Frage. Und Sie, meine Herren, und die deutsche Regierung müßten mich als traurigen Charakter einschätzen, wenn ich unter diesen Umständen nicht die Konsequenzen zöge. Ich melde hiedurch unseren Austritt aus der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger an und lege damit selbstverständlich auch meine Ehrenmitgliedschaft nieder." (Bassermann zit. nach Haider-Pregler 1999, 115)

Am 6. November 1936 fand im Theater in der Josefstadt die Premiere von Jean Giraudoux' 1935 uraufgeführtem Stück 'La guerre de Troie n'aura pas lieu' in der Übersetzung von Annette Kolb und Berta Zuckerkandl statt. "Darstellerisch ein großer Abend der Josefstadt!" lautete das wohlgefällige Resümee der "Wiener Zeitung". (Holzer 1936, 9) Direktor Ernst Lothar hatte Regie geführt und Hautprollen u. a. an Else Bassermann (Hekuba), Adrienne Gessner (Kassandra), Attila Hörbiger (Hektor) und Hans Thimig (Ajax) vergeben.

Bassermann, Else zeigen
Gessner, Adrienne zeigen
Thimig, Hans zeigen

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