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KAPITEL

1. Biographische Daten und Kontexte
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2. Hilde Spiel - Die hellen und die finsteren Zeiten - Erinnerungen 1911 - 1962
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3. Hilde Spiel - "Der kleine Bub Desidere" - Frühe Erzählungen
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4. Hilde Spiel - "Kati auf der Brücke", 1933
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5. Hilde Spiel - "Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation"
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6. Hilde Spiel - "Lisas Zimmer"
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7. Hilde Spiel - "Welche Welt ist meine Welt?"
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8. Hilde Spiel - "Rückkehr nach Wien" - Ein Tagebuch
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9. Anhang
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Wilhelm Kuehs:
Hilde Spiel (1911-1990)


Damit spricht Hilde Spiel ein weiteres Problem an. Hat man schon Schuld auf sich geladen, wenn man während der Herrschaft der Nationalsozialisten in Österreich blieb, und sich nicht gegen sie wehrte? Worin unterschied sich die sogenannte innere Emigration von der Flucht? Konnte man, um es mit Ingeborg Bachmann zu sagen, "unter Mördern und Irren" leben, ohne selbst einer von ihnen zu werden?

Die Situation, die Hilde Spiel in Wien vorfindet, ist zu disparat und ihr Blick zu scharf, als dass sie zu einem eindeutigen Urteil kommen könnte. Sie trifft auf ehemalige Widerstandskämpfer, die sich bemühen ein neues, demokratisches Österreich aufzubauen. Sie begegnet Künstlern und Schriftstellern, die, wie Hans Weigel, aus der Emigration zurückgekehrt, an einer "kulturellen Wiedergeburt" (Spiel 1996, 84) Wiens arbeiten. Spiel kann den Enthusiasmus nicht teilen. Ihr ist zu sehr bewusst, dass sie nicht hierher gehört, zumindest 1946 noch nicht. Darüber hinaus empfindet sie diesen Versuch in einer Zeit des Hungers und der Unruhe "das kulturelle Leben in Schwung zu bringen" (Spiel 1996, 95) als grausiges Déjà vu. Ähnliches hatte sie schon nach dem Ersten Weltkrieg miterlebt.

Die Ermordung Moritz Schlicks, dem Begründer des Kritischen Positivismus, der Hilde Spiels Lehrer an der Universität war, hat 1936 den Ausschlag gegeben, dass sie nach London flüchtete. Der Anblick der Universität reicht jetzt aus, um diese schreckliche Erinnerung wieder heraufzubeschwören. Hilde Spiel fragt sich, ob noch etwas geblieben ist, was sie an diesem Land rückhaltlos bewundern kann, angesichts der Ereignisse.

Schlick, Moritz zeigen

Hilde Spiels Utopie eines guten Österreichs ist rückwärtsgewandt, sie greift über die Nazizeit zurück und knüpft vorsichtig Fäden an das ehemals weitere Imperium an. In Essays, aber auch in einer subtilen "Triestiner" Erzählung wie z. B. "Mirko und Franca" klingt dies immer wieder durch.

"Vielleicht waren jene Weltoffenheit und Urbanität, die wir in den späten Zwanzigerjahren in uns spürten, nur Überreste des alten Imperiums, in dem die Winde von Polen bis Spanien bliesen, von Brüssel bis Triest? Wir waren in gewissem Sinn die letzten Erben Karls des Fünften." (Spiel 1996, 105)

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