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KAPITEL

1. Einleitung
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2. Zur Vorgeschichte
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3. "Anschluss" - literarische Pogromstimmung
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4. Verlauf und Richtung der Exilbewegung
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5. Zeitschriften des Exils
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6. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Österreichische Exilliteratur im Überblick


Der Dichter im Exil

Mir muss Vergessenes reichen; mit Verschollenem halte ich Haus. Aus Verdämmerndem klaube ich Scherben von Silben zu Wörtern heraus.

Das sind noch gesegnete Tage. Scherben sind endlicher Hort. Wo hole ich, wenn die Verstummung kommt Buchstaben für mein Wort? (Rotenberg 1991, 47)

Die Brüche in den politischen und historischen Perspektiven sind also von beträchtlicher ästhetischer und somit literarischer Relevanz. Kursorisch möchte ich hier nur auf zwei Fragen eingehen. Die eine ist die Frage der immanenten Gestaltung. Solange die Überwindung des Nationalsozialismus als ein Werk des inneren Widerstandes perspektiviert werden kann, lässt sich der Kampf zwischen den Nationalsozialisten und ihren Gegnern noch als ein sozialer Prozess darstellen, in den die verschiedenen Schichten und ein Spektrum individuell geprägter Typen spezifisch einbezogen sind. Es gibt Akte des Verrats (der Akkomodation vor allem an die neuen Herrscher) und Akte der inneren und äußeren Umkehr (ein glühender Nationalsozialist schließt sich dem Widerstand an). Die der Machteinsetzung Hitlers bzw. der Okkupation Österreichs vorangegangenen politischen und sozialen Kämpfe sind noch präsent. Die Protagonisten der frühen antifaschistischen Exilromane einer Hermynia Zur Mühlen, einer Adrienne Thomas handeln noch aus Traditionen heraus (wobei es hier gleichgültig ist, in welchem Zeitraum sich diese Traditionen herausgebildet haben). In den Figuren der Faschisten bleiben noch ihre Vorformen erkennbar: der von Nietzsches "Also sprach Zarathustra" begeisterte Apothekersohn als SS-Mann, der arbeitslose Bauarbeiter als SA-Mann ... Die Konflikte lassen sich noch in einem verhältnismäßig ausgedehnten sozialen Feld darstellen - die Form des Romans ist dem gemäß. In dem Moment, in dem die Überwindung des Nationalsozialismus nur mehr durch eine Einwirkung 'von außen', durch die Intervention der alliierten Mächte, erwartet werden kann, verengt sich das soziale Feld, in dem der Nationalsozialismus und der Widerstand gegen ihn dargestellt werden können. In den Exil-Novellen und -Romanen eines Friedrich Torberg reduzieren sich die sozialen Beziehungen in Hitlerdeutschland auf das Verhältnis von Verfolger und Verfolgtem, von KZ-Wärter und KZ-Häftling, von Folterern und Gefolterten. Diese Reduktion entspricht dem tatsächlichen "Erfolg" der Nationalsozialisten, deren Gewaltherrschaft sich in der Scheidung von "deutschen Volksangehörigen" und "Juden", von Höher- und Minderwertigen, von Tätern und Opfern stabilisiert hatte. (vgl. Torberg 1943 und 1948)

Die zweite, eng damit zusammenhängende Frage ist die des Antagonismus. Wenn ein Gegensatz eine solche Schärfe und Ausschließlichkeit angenommen hat, dass keine Vermittlungen, Übergänge, Schattierungen mehr möglich sind, lässt er sich kaum mehr als ein Konflikt in einer wie immer ausgedehnten oder begrenzten menschlichen Gemeinschaft darstellen. In vielen literarischen Versuchen des Exils erscheinen die Nationalsozialisten als Monstren, Unmenschen, die mit dämonischer Energie die menschliche Gemeinschaft zu zerstören trachten; vielfach sind diese Anklagen leider nur unfreiwillige Dokumente der bereits angerichteten Zerstörung. Die adäquate literarische Form, dem Antgonismus gerecht zu werden, war die Satire, derer sich schon ein Karl Kraus angesichts des Massensterbens des Ersten Weltkrieges bedient hatte. Die Exil- und Widerstandsliteratur weist daher immer wieder auch satirische Züge auf, die sich oft ins Groteske gesteigert finden. Man denke nur an das freilich spät veröffentlichte und daher kaum rezipierte, aber bereits Mitte der 30er Jahre entstandene "Kasperlspiel vom Meister Siebentot" von Albert Drach, in dem "die willfährige Verführbarkeit der Öffentlichkeit" (Kucher, 1993, 28) durch Sprach-Manipulation und lächerliche Rhetorik vorgeführt wird.

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