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KAPITEL

1. Überblick über die Situation der österreichischen Exilforschung
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2. Die Jahre 1933 und 1934
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3. Politische Orientierung der Exilanten nach der Massenemigration 1938
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4. Das "andere Österreich" - die Kontroverse zwischen Lothar und Viertel
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5. Anhang
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Johann Holzner:
Österreichische Literatur im Exil


Der eben erwähnte Vortrag von Elisabeth Freundlich, eine Kurzfassung ihrer Erinnerungen an das Exil, verdient indessen noch immer herausgehoben zu werden (Freundlich 1977): Kein anderes Dokument beschreibt derart einprägsam die im Exil unternommenen Anstrengungen, eine neue Gesprächskultur zu befördern, und zugleich das Scheitern dieser "Flüchtlingsgespräche".

Freundlich, Elisabeth zeigen

Während die Mehrzahl der sozialistischen Schriftsteller 1934 in die Tschechoslowakei geflüchtet war, unter ihnen Josef Luitpold Stern, Fritz Brügel und Hugo Sonnenschein (Sonka), fand Elisabeth Freundlich ihr erstes Asyl in Paris, wie viele andere österreichische Emigranten auch; im März 1938 konnte man dort Revolutionäre Sozialisten und Kommunisten ebenso wiedersehen wie Repräsentanten und Sympathisanten des gestürzten Schuschnigg-Regimes, etwa Franz Werfel. Dieser unterstützte die Idee, eine Dachorganisation der vertriebenen österreichischen Intellektuellen zu schaffen, auch Joseph Roth konnte dafür gewonnen werden, der prominenteste unter allen in Frankreich lebenden Emigranten, nur von Stefan Zweig erhielt Freundlich aus London eine unmissverständliche Absage:

"Für mich ist Österreich 1918 gestorben und ich weiß, dass es nie mehr auferstehen wird."

Was Zweig befürchtete, war für die "Auslandsvertretung der österreichischen Sozialisten" die zentrale Zielvorstellung schlechthin: ein neues Deutschland; nicht für die Wiederherstellung eines österreichischen Staates zu kämpfen, sondern für die gesamtdeutsche Revolution, im Sinne Otto Bauers, das sollte das Hauptgeschäft der Sozialisten bleiben. (vgl. Weinzierl 1989, 246) Freundlich sah das ihre dennoch in der Gründung der Ligue de l'Autriche Vivante, diese Vereinigung kam auch zustande. Aber schon ihre erste Großveranstaltung, im März 1939, endete mit einem Eklat. Werfel, dem das Hauptreferat anvertraut war, nutzte das zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für den christlichen Ständestaat. Die anwesenden österreichischen Spanienkämpfer, der überwiegende Teil Kommunisten, fühlten sich dupiert, und prompt brach die Ligue, kaum konstituiert, wieder auseinander. Nur einmal trat sie noch ziemlich geschlossen in Erscheinung, im Mai 1939, auf der Beerdigung von Joseph Roth.

Weit mehr als die alten Zerwürfnisse unter den diversen Gruppierungen störten und zerstörten da und dort die neuen Entwicklungen der Weltpolitik, vor allem seit dem Beginn des Weltkriegs, viele Bestrebungen, das 'andere Österreich' zu einem Bündnis zusammenzuführen. Wer nicht, wie Musil, Fritz Hochwälder und Hans Weigel in der Schweiz Zuflucht gefunden hatte, wer auch die Sowjetunion, wo Klara Blum, Hugo Huppert und Ernst Fischer wie auf einem Vulkan lebten, als Asylland nicht ins Kalkül ziehen wollte oder konnte, dem blieb bald nichts anderes übrig, als den europäischen Kontinent zu verlassen. Max Brod, Martin Buber, Paul Engelmann, Walter Grab, Hermann Hakel, Martha Hofmann, Simon Kronberg, Leo Perutz, Heinz Politzer, Alice Schwarz, Willy Verkauf, auch Theatermacher wie Gerhard Bronner und Stella Kadmon lebten in Palästina. Bruno Frei, Leo Katz und Egon Erwin Kisch in Mexiko. Leopold von Andrian-Werburg, Paul Frischauer, Paula Ludwig und Stefan Zweig in Südamerika. Viele Exilanten ließen sich in England nieder, weitaus die meisten in den USA: Jeder Dialog, jeder Versuch, zu einer Verständigung zu kommen, musste zuallererst schon die Barriere der Entfernungen überwinden.

Grab, Hermann: Ankunft im Exil zeigen

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