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KAPITEL

1. Begriffsbestimmung und Bedingungen des Exils
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2. Von der Dauer des Exils
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3. Sprache
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4. Selbstmord
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5. Ausblick
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6. Anhang
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Wilhelm Kuehs:
Exil - Aspekte und Kontexte


"Ich habe keine vita. Ich kann mich nicht erinnern. Emigranten können das nicht", schreibt Günther Anders 1962 in "Post Festum". (Anders 1985, 64 ff) Sein Leben könne nicht mehr als der sprichwörtliche lange ruhige Fluss betrachtet werden. Die Lebenseinheit sei aufgelöst.

"Kennzeichnend für uns ist nicht, daß unser Leben durch ein (unerinnerbares) Intermezzo eine Unterbrechung erfahren hat, sondern daß die Zerfällung unseres Lebens in mehrere Leben endgültig geworden ist; und das heißt, daß das zweite Leben im Winkel vom ersten absteht, und das dritte wieder vom zweiten, [...] Nach jeder Knickung wurde das der Knickung vorausliegende Stück Leben unsichtbar. An Paris konnte ich mich, nachdem ich die nächste Station New York erreicht hatte, nur noch unzulänglich erinnern; und seit ich in Wien lebe, liegt die Werkstätte, zu der ich in Los Angeles zu pilgern hatte, im tiefsten Dunkel [...]" (Anders 1985, 71)

Anders, Günther: Erinnerung Vitae zeigen

Die Nach- und Fortwirkung des Exils als Krankheit ist hier die Auslöschung der Erinnerung an die eigenen Existenz. Die Erfahrung des Seins, so Anders, entstehe daraus, dass man jemandem im Gedächtnis ist.

"Daß man unser im Exil gedacht hatte, davon kann keine Rede sein. Eine kurze Zeit lang galt zwar noch eine infernalische Variante dieses Seinsbeweises, denn wir waren ja Verfolgte gewesen. Auch aus dem 'Man ist hinter mir her' ergibt sich ja noch ein letztes `Also bin ich`, auch der Verfolger denkt ja noch unser, wenn auch nur, damit es unsereins nicht mehr gebe - gleichviel, auch dieses skandalöse Minimum an Bestätigung ging rasch verloren, und bald wanderten wir, wo immer der Zufall uns hinverschlagen hatte, zwischen Millionen, die uns als Luft behandelten - und so wurden wir Luft." (Anders 1985, 71)

Anders, Günther: Über die Angst zeigen
Anders, Günther: Erinnerung zeigen
Anders, Günther: Über den Hass zeigen
Anders, Günther: Kollektivschuld zeigen
Anders, Günther: Über die Sprache zeigen
Anders, Günther: Über das Zurückkehren zeigen
Anders, Günther: Überleben und Trauma zeigen

Der Vergleich mit den Überlebenden des Holocaust darf in diesem Falle gezogen werden. Denn die Nazis waren ebenso auf die Vernichtung und Ermordung der vor ihnen Geflohenen aus, wie auf die Vernichtung jener, deren sie habhaft werden konnten. Die Erlösung der Opfer kann nie wirklich stattfinden. Sowenig wie die Überlebenden der KZs jemals wirklich die Stätte ihrer Todesangst verlassen haben, sowenig sind die Exilanten jemals wirklich heimgekehrt.

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