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KAPITEL

1. Die politische Natur und Tradition des Widerstandsbegriffs
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2. Positives Recht und Naturrecht
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3. Die romantische Frage nach dem Widerstand der Poesie
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4. Fragwürdige Darstellbarkeit des Zeitgenossen
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5. Parallelität von politischer und ästhetischer Neuorientierung
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6. Weltanschauliches Engagement und ideologische Skepsis
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7. Nachkriegssituation
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8. Differenz und Übereinstimmung zwischen Exil- und Widerstandsliteratur
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9. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Literatur und Widerstand


Hier wird die Ausgabe von 1964 verwendet.

"Poesie und technische Zivilisation ... Den landläufigen Marxismus, der Überbau sagt und unvermittelt ökonomische Determination sagt, straft die moderne Poesie Lügen. Zwar hält sie mit der vorherrschenden Produktionsweise Schritt, so aber, wie man mit einem Feind Schritt hält. Dass das Gedicht keine Ware ist, dieser Satz ist keineswegs eine idealistische Phrase. Von Anfang an war die moderne Poesie darauf aus, es dem Gesetz des Marktes zu entziehen. Das Gedicht ist die Antiware schlechthin: Das war und ist der gesellschaftliche Sinn aller Theorien der poesie pure." (Enzenberger 1964, 20 f.)

Im Gewand moderner Terminologie tritt uns hier die alte romantische Forderung einer "transzendentalen Universalpoesie" (so Friedrich Schlegel in den "Athenäum-Fragmenten") entgegen. Zwischen der romantischen Vorstellung eines Widerstands der Poesie und dem von den bürgerlich-demokratischen Revolutionären diskutierten Widerstandsrecht besteht gerade in der deutschen Literatur wenig Zusammenhang; vielmehr befördert die romantische Haltung eine Abwendung von der gemeinen Wirklichkeit und den Forderungen des Tages, manifestiert sie sich in den Bildern eines Philipp Otto Runge oder eines Caspar David Friedrich als ein "Biedermeier", als ein unter den herrschenden Gewalten Geducktes, in oft unheimlichen Zwischenräumen Frieden und Erfüllung suchendes Leben. Umgekehrt ließe sich auch eine Geschichte der Verdächtigungen schreiben, die die Repräsentanten radikaldemokratischer Strömungen gegen das Schöne äußerten sowie eine - wenngleich bescheidene (im Vergleich zur französischen Literatur etwa) - Geschichte der Versuche, über Poesie Formen von Widerstand bzw. ein Bewusstsein davon gegen herrschende unmenschliche Zustände zu entwickeln, man denke nur an Georg Büchners Schrift "Der hessische Landbote" oder an die literarischen Mobilisierungsversuche im Zuge der Revolution von 1848 in Wien (Ludwig A. Frankl: "Die Universität"; Sigmund Engländer), Budapest (Sandor Petöfi) wie in Deutschland (Ferdinand Freiliggrath: "Die Todten an die Lebenden"; u. a.), als literarische Texte erstmals auch operative Widerstandstexte waren. Nicht übersehen werden sollte auch die Ausarbeitung des Revolutionsbegriffes nach 1830 (Französische Julirevolution) als einen zunehmend systematisch verstandenen im Sinn einer "Revolution in Permanenz" (H. Heine, 1832, "Französische Zustände"), in der implizit der Widerstandsgedanke gegen die herrschenden Zustände die tiefere, dynamische Triebkraft darstellt. Es ist kein Zufall, dass sowohl der französische Revolutionär und Theoretiker Pierre J. Proudhon - später, d. h. 1848 und danach, wichtige Bezugsinstanz für den Anarchismus, für einen "Widerstandsgedanken in Permanenz" - als auch Karl Marx auf diese Heine'sche Vorstellung zurückgreifen werden. (R. Kossellek, 1984, "Revolution", 762 f.)

"Kann die Literatur überhaupt eine 'Waffe' im Kampf gegen den Faschismus sein?"

Als Ausgangspunkt der zeitgenössischen Diskussionen (ab den frühen 1930er Jahren) über die Möglichkeit, mit literarischen Mitteln Widerstand gegen den Faschismus zu leisten, erscheint immer wieder die beschriebene Dichotomie zwischen politischen Traditionen des Widerstandes und dem sich selbst genügenden Romantisch-Widerständigen der Poesie. In den heute unter "Expressionismusdebatte" literaturwissenschaftlich verschlagworteten Diskussionen über eine künstlerische Neuorientierung angesichts des Faschismus ging es den besten Köpfen um die Überwindung der Distanz, die zwischen Widerstand und Poesie entstanden war.

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