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KAPITEL

1. Die politische Natur und Tradition des Widerstandsbegriffs
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2. Positives Recht und Naturrecht
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3. Die romantische Frage nach dem Widerstand der Poesie
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4. Fragwürdige Darstellbarkeit des Zeitgenossen
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5. Parallelität von politischer und ästhetischer Neuorientierung
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6. Weltanschauliches Engagement und ideologische Skepsis
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7. Nachkriegssituation
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8. Differenz und Übereinstimmung zwischen Exil- und Widerstandsliteratur
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9. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Literatur und Widerstand


Konnte die Literatur überhaupt etwas zum antifaschistischen Kampf beitragen? Müssen nicht unter den Waffen "die Musen schweigen"? Namentlich Bertolt Brecht, seit 1933 aus Deutschland vertrieben, ließ es nicht an Ratschlägen an seine Schriftstellerkollegen fehlen. Berühmt ist sein Aufsatz "Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit" (Brecht 1967, 222 ff.), entstanden 1939 als Antwort auf eine Rundfrage des "Pariser Tageblatts", des zu diesem Zeitpunkt meistgelesenen Organs des deutschsprachigen Exils. Aber auch in Österreich hatten sich Intellektuelle und Schriftsteller dieser Frage zu stellen. Zu den aufmerksamsten Stimmen zählte z. B. Ernst Fischer, bis 1933 Mitarbeiter der Arbeiter-Zeitung. Eine Besprechung der bereits gleichgeschalteten Nummer der renommierten Literaturzeitschrift "Neue Rundschau" stellte er unter dem programmatischen Titel "Den Kompaß über Bord?" und veröffentlichte sie in der ersten Nummer der bedeutenden Exilzeitschrift "Neue Deutsche Blätter", die von Oskar Maria Graf, Anna Seghers und Wieland Herzfelde ab September 1933 in Prag herausgegeben wurde.

"Hier gibt es keine Flucht. Keiner, dem Kunst mehr bedeutet als Zeitvertreib, kann in politischer Unberührtheit und Verantwortungslosigkeit über das Schicksal Deutschlands hinweggleiten (...) Was aber bleibt jenen zu tun übrig, die nicht bereit sind, dem Faschismus in irgendeiner Weise zu dienen, indem sie für den Kulturaufputz, für die Verschleierung nackter Tatbestände sorgen? (...) Welchen Weg der Einzelne auch geht, er muß wissen, daß er um die Entscheidung nicht herumkommt, daß es keine andre Wahl gibt, als Bindungen und Sicherungen aufzugeben und sich einzureihen in die Front des antifaschistischen Widerstandes, wenn man nicht in ein Schattendasein, in schweigende Dunkelheit versinken oder dem Faschismus in irgendeiner Form Vorschub leisten will." (Fischer, 1933/1984, 66 f.)

Verboten und verbrannt - Liste der betroffenen Autor/inn/en zeigen

Diese Fragen geben nur solange unauflösliche Rätsel auf, als man nicht versteht, dass der faschistische Angriff ein allseitiger war, der auf allen Gebieten, ob auf dem militärischen oder auf dem der Geschichtsauffassung, zurückgeschlagen werden musste. Es ist daher auch bezeichnend, dass eine der Publikationsplattformen gegen den Faschismus den Titel "Der Gegen-Angriff" trug, eine Plattform, die von der illegalen KPD wesentlich getragen war. An ihr wirkten mit Bruno Frei und Egon Erwin Kisch auch schriftstellerisch erfahrene Redakteure mit, die u. a. versuchten, Brücken zu Intellektuellen und Schriftstellern außerhalb der Parteibindung - zu Heinrich und Thomas Mann z. B. - herzustellen, wenngleich die vordringliche Arbeit die der politischen Dokumentation und Agitation im Sinn der KPD und der Internationalen gewesen ist. Dem faschistischen Menschenbild der nordischen Herrenrasse musste weiters ein humanes Menschenbild, der nationalsozialistischen "Weltanschauung" musste eine neue sinngebende Synthese entgegengehalten werden. Die Literatur trat dadurch in ein erneutes Nahverhältnis zur Wissenschaft, das befruchtend und tief problematisch in einem war. Beispielhaft dafür ist die Hinwendung Hermann Brochs in den Exiljahren zur Wissenschafts- und Erkenntnistheorie (vgl. James E. Knowlton. In: "Österreicher im Exil" 1977, 323 f.). So wie ihm erschien nun vielen Schriftstellern eine Dichtung, die nur die individuelle Eigentümlichkeit des Verfassers hervortreten ließ und nicht auf einer denkenden Durchdringung des Weltzusammenhanges beruhte, als "unstatthafte" Spielerei.

Zeitschrift: Der Gegenangriff, 1933 zeigen
Zeitschrift: Der Gegenangriff, 1934 zeigen

Die Niederwerfung des Februaraufstandes 1934 in Österreich war ein weiteres Schlüsselereignis nicht nur auf dem Weg der Ausschaltung demokratisch-republikanischer Widerstandspotentiale. Auch an der Literatur ging diese nicht spurlos vorüber. Allein die Existenz von über 200 Texten in mehreren Sprachen zeugt von der Resonanz dieser Zäsur und davon, dass sich Schriftsteller/inn/en zunehmend verpflichtet sahen, wenigstens über ihr Wort Position zu beziehen, einzugreifen, Widerstand zu mobilisieren sowie bei bürgerlich-konservativ orientierten Schriftstellern eine definitive Abkehr von einer Haltung tolerierenden Schweigens dem Nationalsozialismus gegenüber einzuleiten wie dies bei Stefan Zweig (In seiner Autobiographie "Die Welt von Gestern" 1944, 437, beschreibt er den Februar 1934 als einen Wendepunkt auf dem Weg zur Faschisierung Europas) oder Robert Musil der Fall war. (Kucher, 1984, 722 f.) Was im Februar 1934 noch nicht oder kaum möglich war, eine direkte Teilnahme der Literatur am Widerstand, wird ab 1936 in Spanien Wirklichkeit: das Bündnis zwischen demokratisch-republikanischen-antifaschistischen Kräften auf der Seite der Republik, die - maßgeblich unterstützt und begleitet durch Schriftsteller bzw. durch die Kraft des Wortes - den Kampf gegen den Franco-Faschismus aufnahm. Ernest Hemingway stellte sich ebenso auf ihre Seite wie Arthur Koestler, dessen "Spanisches Testament" (1937) in seiner Verbindung von Reportage und subjektiv-individueller und politischer Reflexion ein operatives Profil "engagierten Schreibens" in die Diskussion einbrachte. Neben Koestler haben immerhin etwa zwanzig deutschsprachige Schriftsteller sich aktiv in Spanien am Widerstand gegen Franco engagiert (Weiskopf, 1981, 107 f.)

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