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KAPITEL

1. Verfolgung, Vertreibung und die Germanistik
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2. 'Anschluss' in Wien, Emigrationsbedingungen
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3. Flüchtlingsland USA
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4. Literatur als Erinnerung und Heimat
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5. Literaturwissenschaft als Mahnung und Bewahrung
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6. Anhang
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Beatrix Müller-Kampel:
Germanistik als Erinnerung, Mahnung und Heimat. Österreichische NS-Vertriebene in den USA und Kanada


National, deutschnational, faschistisch, gewaltverherrlichend, antisemitisch in katholischer, protestantischer oder nationalsozialistischer Manier, wie viele Texte der deutschsprachigen Literatur und auch nicht wenige Werke kanonisierter Autoren daherkamen, konnte es freilich nicht 'die' deutsche Literatur sein, welche die Vertriebenen mit Österreich verband. Eher schon waren es einzelne Autoren, Werke, Ideen oder Strömungen, und hier in erster Linie Vertreter der Moderne: Rainer Maria Rilke, Arthur Schnitzler, Robert Musil, Franz Werfel, Stefan Zweig; vor und über allem jedoch Franz Kafka und Sigmund Freud.

Freud, Sigmund zeigen
Kafka, Franz zeigen

Das Porträt zu Robert Musil kann auch wenig Multimediales anbieten, da weder Tondokumente von Musils Stimme noch Filmaufnahmen von ihm existieren, wie wir sie etwa von Thomas Mann besitzen, die dem interessierten Publikum den Dichter akustisch oder in bewegten Bildern näher bringen könnten. Vielleicht ist dies aber ganz im Sinne des Autors, der den "Tatsachen" - auch den biographisch-persönlichen - stets misstraut hat und dem "geistig Typische[n]" (Musil 1978, 939) und dem "Möglichen", dem "Noch-nicht-Wirklichen" den Vorzug gab. So kann das "Ideographische vor das Biographische" (Berghahn 1980,13) gestellt und "unter der Oberfläche der vermeintlichen harten Tatsachen das verborgene Leben des Zeitgeistes" (ebd.) unter Umständen verstehbarer gemacht werden.

Cohn, Dorrit Claire zeigen

"Nicht Nostalgie" sei es gewesen, die ihn zum Studium der Germanistik bewegten, betont Walter H. Sokel, "sondern etwas doch anderes - das Erlebnis Kafka." Bei der Lektüre der "Verwandlung" war "ich [...] so erschüttert, so aufgewühlt und hingerissen, wie ich es in keinem meiner früheren Leseerlebnisse gewesen war." (Sokel 1990, 24) Harry Zohn schwebte als Dissertationsthema vorerst Kafka vor, (vgl. Zohn 1990, 7) mit Kafka setzten sich im Laufe ihrer Hochschullaufbahn fast alle in Amerika lehrenden österreichischen Germanisten und Germanistinnen dieser Generation auseinander (die meisten mehrmals); Evelyn Torton Beck kehrte während ihrer vielfältigen feministischen Tätigkeit publizistisch zwischendurch immer wieder zu Kafka zurück, und Walter H. Sokel hat Kafka in den Mittelpunkt seiner Forschungstätigkeit gerückt.

Zohn, Harry : Biobibliographie zeigen
Zohn, Harry zeigen

Der Exilwissenschaftler teilt mit dem Exildichter das Los, dass seine Verbundenheit mit der deutschen Sprache an das "factum brutum seiner Ausgrenzung" und damit an den konkreten Sachverhalt erlittener Gewalt gekoppelt bleibt. (Hoffmann 1994, 27) Der Gedanke an die anderen, die zurückgeblieben sind, zurückbleiben mussten, die zu Tode Gequälten, bestialisch Vernichteten, bleibt gegenwärtig (vgl. Hoffmann 1994, 27) und drängt nach Aussprache, Analyse, Mahnung. Innerhalb des Faches Germanistik, das lange genug seine Augen vor den poetisch verbrämten antisemitischen Ausfällen seiner altvorderen Dichterheroen verschlossen hatte und sich nach 1945 nur zögernd des kulturellen und literarhistorischen Beitrags der Vertriebenen zu erinnern begann (und dabei sogleich in allerlei Mythisierungen verfiel (vgl. Winckler 1995, 68-81), bedeutete dies ein stetes wissenschaftliches Nachdenken über deutsch-jüdische, österreichisch-jüdische Beziehungen und Exilliteratur. Auf jüdische Autoren und Autorinnen (insbesondere österreichischer Herkunft) hinzuweisen und sie zu übersetzen, jüdische Gestalten in der Literatur zu untersuchen sowie die untergründigen Spuren völkisch-antisemitischen Hasses in der kanonisierten deutschsprachigen Literatur nachzuverfolgen zählt demgemäß zu den Forschungsschwerpunkten insbesondere von Evelyn Torton Beck, Peter Heller, Ruth Klüger, Herbert Lederer, Egon Schwarz, Walter H. Sokel und Harry Zohn.

Klüger, Ruth zeigen
Schwarz, Egon zeigen

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