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KAPITEL

1. Biographische Daten und Kontexte
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2. Hilde Spiel - Die hellen und die finsteren Zeiten - Erinnerungen 1911 - 1962
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3. Hilde Spiel - "Der kleine Bub Desidere" - Frühe Erzählungen
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4. Hilde Spiel - "Kati auf der Brücke", 1933
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5. Hilde Spiel - "Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation"
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6. Hilde Spiel - "Lisas Zimmer"
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7. Hilde Spiel - "Welche Welt ist meine Welt?"
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8. Hilde Spiel - "Rückkehr nach Wien" - Ein Tagebuch
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9. Anhang
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Wilhelm Kuehs:
Hilde Spiel (1911-1990)


Die Idee der biologischen Rassen der Menschen wurde von Houston Steward Chamberlain, einem Schwiegersohn von Richard Wagner, in seinem Werk Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts populär gemacht und für den Antisemitismus instrumentalisiert. Chamberlain hielt sich von 1887 bis 1907 in Wien auf und beobachtet die Entwicklung der antisemitischen Bewegung. Er war überzeugter Rassist. Er beschreibt die Rasse als Grundantrieb der Geschichte. Indem er den Begriff der Rasse ins Anthropologische und Psychologische verlegt, liefert er eine theoretische Begründung der Nürnberger Rassegesetze der Nationalsozialisten. Zur Zeit Fanny von Arnsteins kündigte sich schon unheilvoll an, welche Ausmaße der ethnisch begründete Judenhass annehmen sollte. Heinrich Heine formulierte unter dem Eindruck der symbolischen Ermordung des Berliner jüdischen Schriftstellers Saul Ascher durch deutsche Burschenschaftler auf dem Wartburgfest 1817: "Dies war ein Vorspiel; dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen." (Heid 1995, 231)

Nürnberger Rassegesetze zeigen

Henriette Herz und Rahel Levin, die, wie erwähnt, auch in Spiels Roman auftreten, bekamen den Antisemitismus von Seiten der deutschen Romantiker zu spüren. Einige der Gelehrten, die auch in ihrem literarischen Zirkel verkehrten, schlossen sich 1811 zur "Christlich-deutschen Tischgesellschaft" zusammen, die gegen den Reformkurs von August Fürst Hardenberg auftrat. Die Betonung deutscher Werte und ihre Abneigung gegen die Juden verbanden sie. In der Runde waren unter anderem Heinrich von Kleist, Carl von Clausewitz, Johann Gottlieb Fichte und Clemens Brentano vertreten. Letzterer verfasste eine Abhandlung, in der er traditionellen christlichen Judenhass mit Anwürfen gegen den heraufziehenden Kapitalismus verband ("Der Philister vor, in und nach der Geschichte"). Die Herren der "Tischgesellschaft" waren von diesen antijüdischen Auslassungen so begeistert, dass Brentano das Manuskript drucken ließ. (vgl. Heid 1995, 123f.)

Der Antisemitismus war im beginnenden 19. Jahrhundert auch, aber nicht nur eine akademische Erscheinung. Der Publizist Hartwig von Hundt-Radowsky forderte in seinem 1819 in Würzburg erschienen "Judenspiegel", alle Jüdinnen in Bordelle zu stecken und die männlichen Juden zu kastrieren. Man solle sie in Bergwerken arbeiten lassen oder als Sklaven verkaufen. Im selben Jahr wurde Hundts Forderung gegen die Juden vorzugehen, ja sie auszurotten Wirklichkeit. Alleine in Würzburg wurden 400 Juden vertrieben, auch in vielen anderen deutschen Städten kam es zu Morden, Misshandlungen, Einbrüchen und Plünderungen. Die sog. "Hepp-Hepp Bewegung" war ein Vorläufer der Pogrome, die sich über das ganze 19. Jh. erstrecken sollten. (vgl. Heid 1995, 232, Giovannini, Bauer, Mumm, 1992, 27-30) Paul Bötticher nahm 1888 das Vokabular der Nazis vorweg, als er von einer "Endlösung" der Judenfrage sprach:

"Mit Trichinen und Bazillen wird nicht verhandelt, Trichinen werden nicht 'erzogen', sie werden so rasch und gründlich wie möglich unschädlich gemacht." (Heid 1995, 239)

Die deutsche Literatur machte bei der Verbreitung des Antisemitismus keine Ausnahme. In namhaften Texten werden Juden als verschlagen und hinterhältig geschildert und im Gegensatz zu den aufrichtigen und lauteren Christen gezeichnet, z. B. bei Gustav Freytag in "Soll und Haben" oder bei Wilhelm Raabe im "Hungerpastor" (vgl. Klüger 1997, 83-105). "Die Judenbuche" von Annette Droste-Hülshoff und "Abdias" von Adalbert Stifter bilden da eine gewisse Ausnahmen. Hier tauchen Juden als menschliche, sympathische bzw. von einem rätselhaften Schicksal geschlagene Charaktere auf. Besonders breitenwirksam waren dagegen die antisemitischen Karikaturen und Verse Wilhelm Buschs und die damals weitverbreitete Familienzeitschrift "Die Gartenlaube" (1875: 400.000 Stück Auflage) sowie die Wiener satirische Zeitschrift "Kikeriki". "Die Gartenlaube" trug maßgeblich dazu bei, dass der Antisemitismus gesellschaftsfähig wurde. (vgl. Heid 1995, 234 f.)

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