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KAPITEL

1. Biographische Daten und Kontexte
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2. Hilde Spiel - Die hellen und die finsteren Zeiten - Erinnerungen 1911 - 1962
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3. Hilde Spiel - "Der kleine Bub Desidere" - Frühe Erzählungen
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4. Hilde Spiel - "Kati auf der Brücke", 1933
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5. Hilde Spiel - "Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation"
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6. Hilde Spiel - "Lisas Zimmer"
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7. Hilde Spiel - "Welche Welt ist meine Welt?"
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8. Hilde Spiel - "Rückkehr nach Wien" - Ein Tagebuch
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9. Anhang
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Wilhelm Kuehs:
Hilde Spiel (1911-1990)


"Lisa, die solchen Einladungen sonst Gestalt zu geben gewusst, unverbundene Strähnen miteinander verwoben und Gruppen gebildet, getrennt und wieder neu zusammengestellt hatte, ging diesmal schwankend umher, redete unzusammenhängendes Zeug, lachte grundlos und zerstörte jeden Versuch, eine anregende Atmosphäre herzustellen [...]" (Spiel 1990, 181)

Lisa sprengt die Abendgesellschaft, indem sie, Tabus brechend, Wahrheiten ausspricht, die zum gehüteten Insiderwissen zählen und sich dabei radikal offenlegt, d. h. ihre große Liebes- und Lebensenttäuschung ihrer Jugendzeit, den österreichischen Aristokratenspross Adrian in dessen Anwesenheit provoziert. Das Fest ist ans Ende gekommen, "Elend und Ende" sind die einzigen Worte, die Lisa noch herausbringt, bevor sich alles verläuft und sie, eingeschlossen in ihr dunkles Zimmer, am Tag darauf verstirbt. Die Autopsie ergibt, dass nicht ihre Krankheit sondern eine Überdosis Morphium sie getötet hatte. Beinahe unbemerkt war Lisa immer tiefer in eine Drogensucht abgeglitten. Thomas Munk wird von FBI verhaftet und der Kollaboration mit den Kommunisten angeklagt.

Damit war der letzte Nachhall der alten Welt - der "Hure Babylon" (vgl. Döblin, 1929, Berlin. Alexanderplatz) - mitten in New York für Lele verklungen. Sie wendet sich wie selbstverständlich Jeff zu. Im Nachwort werden Jeff, Lele und ihr Sohn Mario als das Inbild der arglosen, geradlinigen Jugend Amerikas beschrieben. Lele hat sich von Europa, das für sie nur ein von Lemuren bewohnter Friedhof ist, gelöst. H. Spiel thematisiert damit auch die Frage der gespaltenen Grenzexistenz der Exilanten und der Möglichkeiten nach "Auflösung dieser Spaltung", d. h. "wer im Exil überleben kann und zu welchem Preis." (Bronfen, 1993, 181)

"Und nun komm her, du, ich will dir etwas zeigen. Die große Hure, die Hure Babylon, die da am Wasser sitzt. Und du siehst ein Weib sitzen auf einem scharlachfarbenen Tier. Das Weib ist voll Namen der Lästerung und hat sieben Häupter und zehn Hörner. Es ist bekleidet mit Purpur und Scharlach und übergüldet mit Gold und edlen Steinen und Perlen und hat einen goldenen Becher in der Hand. Und an ihrer Stirn ist geschrieben ein Name, ein Geheimnis: die große Babylon, die Mutter aller Greuel auf Erden ..." (Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz, 5. Buch, 211)

" Und plötzlich wurde Lisa [...] zu einem fürchterlichen Inbegriff Europas. Sie war das Weib, bekleidet mit Purpur und Scharlach und übergoldet mit Gold und edlen Steinen und Perlen und hatte einen goldenen Becher in der Hand, voll Greuel und Unsauberbarkeit ihrer Hurerei. Sie war die große Hure Babylon." (Hilde Spiel: Lisas Zimmer, 177)

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