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KAPITEL

1. Klassisches Exilland - Mythos und Realität
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2. Zur Asylpolitik der Schweiz
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3. "Das Boot ist voll". Maßnahmen gegen unerwünschte Flüchtlinge
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4. Asylgewährung
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5. Hilfsorganisationen
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6. Die Internierung von Flüchtlingen
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7. Paul Grüninger
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8. Österreichische Exilantinnen und Exilanten in der Schweiz
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9. Transitland Schweiz
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10. Vom Leben im Schweizer Exil
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11. Das Zürcher Schauspielhaus
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12. Rückkehr
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13. Anhang
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Ulrike Oedl:
Exilland Schweiz


Die Zahl der Flüchtlinge ging nach einem ersten Ansteigen im Frühjahr 1933 rasch wieder zurück, zwischen 1933 und 1939 stellten bloß 1.072 Flüchtlinge einen Asylantrag für die Schweiz, davon erhielten nur 392 Antragsteller einen positiven Bescheid, 473 Gesuche wurden abgelehnt, 207 Menschen verließen die Schweiz vor Beendigung ihres Verfahrens. Bis 1938 dürfte die Gesamtzahl der sich in der Schweiz befindlichen Flüchtlinge nie höher als 5.000 Personen gewesen sein, die meisten davon waren Juden. Der "Anschluss" Österreichs brachte ein Ansteigen dieser Zahl auf 10.000 bis 12.000 Flüchtlinge. Doch der Anteil österreichischer Flüchtlinge daran war gering. Zur Zeit des "Anschlusses" lebten ungefähr 200.000 Juden in Österreich, etwa 100.000 konnten bis zum Kriegsausbruch das Land verlassen, davon haben sich kaum mehr als 5.000 in der Schweiz aufgehalten. Für die Österreicher und Österreicherinnen, die nach der Annexion Österreichs in die Schweiz zu flüchten versuchten, wurden die "Weisungen vom 31. März 1933 betreffend die Einreise von Israeliten" herangezogen.

Wie stark diese Weisungen antisemitisch motiviert waren, zeigen die Umstände der Einführung des gefürchteten "J"-Stempels am 10. Oktober 1938 durch die Behörden in Hitlerdeutschland. Diese Maßnahme ging auf eine Initiative der Schweizer Behörden zurück, die mit den markierten Pässen auf eine für sie sehr effiziente Weise Flüchtlinge von Handelspartnern oder Touristen unterscheiden konnten. Weniger bekannt ist, dass das ebenfalls neutrale Schweden zur gleichen Zeit bei den Berliner Behörden für eine Kennzeichnung der Pässe von Juden eintrat. (vgl.: Helmut Müssener. Brief vom 23.08. 2000. In: Zwischenwelt 3/00, 68) Durch diese Maßnahme wurden die Juden und Jüdinnen in der ganzen Welt zu "personae non gratae" gebrandmarkt.

Kramer, Theodor: Reisepass zeigen

Eine zusätzliche Verschärfung der Lage der Flüchtlinge brachte der "Bundesratsbeschluss über Änderungen der fremdenpolizeilichen Regelung vom 17. Oktober 1939". Mit ihm wurden die einzelnen Kantone angewiesen, alle Ausländer, die illegal über die Schweizer Grenze gelangt waren, in das Land "auszuschaffen" von dem aus ihr Grenzübertritt erfolgt war, davon ausgenommen waren Deserteure oder als politische Flüchtlinge anerkannte Personen.

Zu den Maßnahmen, die die Schweizer Regierung zur Abwehr der unerwünschten Flüchtlinge setzte - und die durch die Fremdenpolizei exekutiert wurden - gehörten u. a. die "Grenzsperrung vom 18. August 1938", eine Anordnung, die auf die damals noch von der SS praktizierte Vertreibungspolitik reagierte, und die "Grenzsperrung vom 13. August 1942", die trotz des Wissens um die Ereignisse in den besetzten Ländern Frankreich, Belgien und Holland in Kraft trat. Damit verloren diejenigen, denen diese Länder nach der Besetzung durch die Nazis zur lebensgefährlichen Falle geworden war, eine der wenigen verbliebenen Chancen auf Rettung. Die Maßnahme von 1942 löste allerdings bei Teilen der Bevölkerung und natürlich bei den Flüchtlingshilfsorganisationen heftige Proteste aus.

Zu dieser Zeit sprach der Schweizer Bundesrat Eduard von Steiger davon, dass das "Rettungsboot voll sei", ein Ausspruch, der bis heute in der Schweiz als Synonym für eine restriktive, erbarmungslose Flüchtlingspolitik gilt. Angesichts von Hunderttausenden auf der Flucht, erschien dem Bundesrat das "Boot" mit ungefähr 7.000 Flüchtlingen als gefährlich überfüllt. Tatsächlich hielten sich im Oktober 1942 etwa 11.800 Flüchtlinge aus Hitlerdeutschland auf Schweizer Boden auf.

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