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KAPITEL

1. Biographische Daten und Kontexte
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2. Hilde Spiel - Die hellen und die finsteren Zeiten - Erinnerungen 1911 - 1962
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3. Hilde Spiel - "Der kleine Bub Desidere" - Frühe Erzählungen
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4. Hilde Spiel - "Kati auf der Brücke", 1933
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5. Hilde Spiel - "Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation"
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6. Hilde Spiel - "Lisas Zimmer"
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7. Hilde Spiel - "Welche Welt ist meine Welt?"
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8. Hilde Spiel - "Rückkehr nach Wien" - Ein Tagebuch
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9. Anhang
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Wilhelm Kuehs:
Hilde Spiel (1911-1990)


In diesem engen Kreis von Liebe, Quälerei und Missverständnissen spielt sich das Leben der Emigranten ab. Ihre Existenz ist rückwärts gerichtet. Wien oder Prag vor dem Krieg waren ideale Orte für diese Menschen, oder zumindest wurden diese Orte das in ihrer Erinnerung.

"Aber wann immer ich nach Wien zurückkam, war ich wieder bei mir selbst. Sie passte mir wie angegossen, diese Stadt. Sie war mein Element. Nicht das Wien der Fremden, natürlich. Vor den Walzern hielten wir uns die Ohren zu. Aber die Kälte in einem alten steinernen Stiegenhaus. Die Wasserleitung auf dem Gang. All die Kleinbürgergerüche, die Gerüche nach Essen und Weihrauch und billigem Parfüm. Feuchte modrige Gartenhütten in der Vorstadt. Und die abgeblätterte, liederliche Eleganz in der Inneren Stadt, das unbeschreibliche Leben, das wir hinter diesen makellosen Fassaden führten! Niemand außer uns wusste, was es heißt, in den Trümmern eines Weltreichs aufzuwachsen, wie Kinder, die auf dem Forum ihre wilden Spiele spielen, jedes in einem Tempel für sich allein." (Spiel 1990, 43 f.)

Hilde Spiel nimmt eine Party in Lisas Wohnung zum Anlass, um dem Leser eine Reihe von typischen Emigranten vorzuführen. Da gibt es den alten Schriftsteller, der in der Monarchie großes Ansehen genoss, über den die Literaturkritik heute jedoch achtlos hinweggeht. Dann den jungen Fleming, vor dem Krieg ein Prager Wunderkind, der die Erwartungen aber nicht erfüllte und kein neuer Kafka wurde, sondern sich lieber mit jungen Schauspielerinnen vergnügte. Daneben Thomas Munk, Rundfunksprecher, ehemaliger Kommunist, nun vom Leben enttäuscht und grundsätzlich misstrauisch. Obwohl sie im Prinzip alle dasselbe Schicksal erlitten haben, ändert sich nichts an ihren alten Feindschaften. Oft sind diese sinnlosen Intrigen die einzige Verbindung, die sie miteinander und überhaupt pflegen. Dieser Party folgen andere, die zusehends außer Kontrolle geraten. Lisa versucht Jeff mit ihren europäischen Freunden zu demütigen, indem sie ihm vorführt, dass er ihnen geistig nicht gewachsen ist. Gleichzeitig möchte sie, dass Jeff sich ihren Freunden angleicht. Diese Situation und die wachsende psychische Labilität Lisas, die sich betrinkt und emotionale Zusammenbrüche erleidet, führen dazu, dass Jeff sich entschließt, sie zu verlassen.

Mittlerweile unterhält Lele eine Affäre mit Thomas Munk. Die körperliche Anziehung, die sie aufeinander ausüben, kann aber letztlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie einander fremd sind und es auch bleiben werden. Lele trauert dem alten Europa nicht nach. Sie flüchtete aus Riga nachdem ihr Vater ermordet und ihre Mutter verschleppt worden war. Als Kindermädchen kam sie zuerst bei den Nazis dann bei den Engländern in Kärnten unter. Dort lernt sie einen italienischen Koch kennen. Von ihm bekommt sie einen Sohn. Europa bedeutet ihr nicht mehr als Amerika. Sie verspürt kein Heimweh.

Nach Jeffs Verschwinden, bricht Lisa zusammen. Ihre letzte Verbindung zur Neuen Welt scheint verloren. Sie verfällt, lässt sich gehen. Aber immer noch ist genug Energie vorhanden, um sie auf Thomas Munk zu lenken, und zu versuchen, ihn Lele auszuspannen. Das misslingt. Ein erstes Zeichen, dass es mit ihrer Kraft zu Ende geht.

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