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KAPITEL

1. Die literarische Bedeutung Berthold Viertels
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2. Jüdische Herkunft
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3. Jugendlicher Ausbruchsversuch und Rückkehr
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4. Berthold Viertel und Karl Kraus
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5. Republikanismus, Weimarer Republik
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6. Theaterkonzeption, Kultur und Zivilisation, Rotes Wien
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7. Berthold Viertel und der Sozialismus
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8. Die Stellung zur Österreich-Frage
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9. Literarische Strategien
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10. Das Verhältnis zum Exil
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11. Die Stellung innerhalb des deutschsprachigen Exils in den USA
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12. Die Nachkriegssituation
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13. Der "Reichskanzleistil"
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14. Die spätere Theaterauffassung
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15. Zur Rezeption des literarischen Werks
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16. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Berthold Viertel (1885-1953)


Das Festhalten am Ensemble-Gedanken über den Zusammenbruch der "Truppe" hinaus ließ Viertel das Angebot, am Düsseldorfer Schauspielhaus zu wirken, so verlockend erscheinen. Hier begrüßte er die "Gleichmäßigkeit eines Ensembles von der Kunst zugewendeten Menschen". Bald tat sich aber eine Kluft zwischen Viertels Vorstellungen und den mehr auf , 'geistige Formung', auf eine Einheit von Ästhetik und Ethik gerichteten Idealen der beiden Leiter Louise Dumont und Gustav Lindemann auf. Bis zum Bruch inszenierte Viertel 1926/27 u.a. Stücke von Paul Raynal, Carl Sternheim, Hans J. Rehfisch und - in einer eigens aus dem Achtstunden-Opus präparierten Spielfassung - Arno Holz' "Ignorabimus" (mit Salka Viertel in einer Hauptrolle). Er arbeitete mit den Schauspieler/innen: Peter Esser, Ehmie Bessel, Ernst Ginsberg, Lilly Kann, Hermann Greid ... Ein Teil von ihnen verließ Düsseldorf, als Viertel ging. Salkas Vertrag wurde erst später gelöst; sie musste bleiben.

Viertel, Berthold zeigen

Das "Politische Theater" Erwin Piscators erschien Viertel hingegen als eine einseitige Lösung des Konflikts zwischen subjektiver Freiheit und sozialer Kausalität, als ein im Milieu-Determinismus befangener "Prolet-Kult". "Der vom Milieu, von den ökonomischen Gesetzen, von Naturkräften abhängige Mensch ist kein Vorwurf des Dramas." In Düsseldorf suchte Viertel nach seiner Antwort auf die ungelöste Problematik. Allerdings geriet ihm das den Zwängen des Milieus entbundene Individuum zum Gefangenen seiner leidenschaftlichen Getriebenheit. Den Zusammenstoß in Schillers "Maria Stuart" bestimmte Viertel losgelöst von der konkreten Situation als rauschhaftes Aufeinanderprallen der Individuen, als Willen beider Königinnen zur Macht, als Exemplifizierung einer Ethik des barbarischen Egoismus. Nietzsches und Weiningers Verdikt gegen Schiller beiseite schiebend, wollte Viertel Schiller gleichsam mit den Augen Dostojewskis sehen, des "Seher(s), der alle beide, Nietzsche und Weininger, in sich enthält". "Maria Stuart" zu inszenieren, bedeutete ihm eine gegen "romantische und sentimentale" Interpretation gerichtete Manifestation absoluter Diesseitigkeit, "die Wonnen der Verleiblichung zu erleben":

"Groß sehen, groß fühlen, groß handeln wird hier zum dringenden Gebot. Ein Übermaß von Figur nimmt den willigen Spieler auf und reißt ihn zur Höhe. Tief eingelebte Hemmungen fallen. Überall öffnet sich Situation, die das heißeste, angespannteste Dasein, in jedem Augenblick eine glühende Bereitschaft der Sinne erfordert." (Masken 20. Jg., 1926/27; Nr. 8)

Viertel, Berthold (Regie): Szenenfoto aus "Maria Stuart" zeigen

Diese Tendenz verschärfte sich mit den Erfahrungen, die Viertel 1928 - 1932 als Filmregisseur in Hollywood und New York machte. Bereits 1927 hatte er mit Carl Mayer in Berlin das Drehbuch zu Friedrich Wilhelm Murnaus Film "Four Devils" (nach Herman Bang) verfasst, 1928 übersiedelte er mit Salka und den Söhnen Hans, Peter und Thomas nach Hollywood. Für die Filmfirmen "Fox" und "Paramount" arbeitet er an insgesamt neun Filmen unter den Bedingungen eines zugleich vollkommen kommerzialisierten und mit den menschlichen Ressourcen verschwenderisch umgehenden Betriebs, den er zuinnerst verabscheut. Aus nächster Nähe muss er mit ansehen, wie Sergej Eisensteins "Mexiko"-Filmprojekt kurz vor der Vollendung an der Engstirnigkeit der amerikanischen Geldgeber - unter ihnen der Romanschriftsteller Upton Sinclair - scheitert, die nicht einmal zulassen wollen, dass Salka und Berthold Viertel die Fertigstellung aus eigenen Ersparnissen finanzieren. "Amerikanische Bourgeoisie - Die Welt der gesicherten Menschen (Gegensatz zu Deutschland)". Der Broadway in New York erscheint ihm als die ausnahmslose Herrschaft dessen, was sich im Starkult und der leeren Artistik des Berliner Theaters erst ankündigte:

Sinclair, Upton zeigen

"Der Broadway gleich bekanntlich einem ungeheuren, ja ungeheuerlichen Jahrmarkt ... Für diese Menschheit, die nebenbei das Verdauteste schmaust, ohne sich den Magen zu verderben, muß immerzu erfunden werden, um sie zu interessieren." ("Der sprechende Film", Manuskript im Nachlass, um 1930)

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