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KAPITEL

1. Klassisches Exilland - Mythos und Realität
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2. Zur Asylpolitik der Schweiz
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3. "Das Boot ist voll". Maßnahmen gegen unerwünschte Flüchtlinge
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4. Asylgewährung
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5. Hilfsorganisationen
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6. Die Internierung von Flüchtlingen
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7. Paul Grüninger
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8. Österreichische Exilantinnen und Exilanten in der Schweiz
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9. Transitland Schweiz
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10. Vom Leben im Schweizer Exil
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11. Das Zürcher Schauspielhaus
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12. Rückkehr
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13. Anhang
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Ulrike Oedl:
Exilland Schweiz


"[Es] ist mir und meiner Frau die Bewilligung des Aufenthaltes bis zum 31. Oktober 1939 verlängert worden; und da diese Frist abläuft, stelle ich die Bitte um erneute Genehmigung unseres Aufenthaltes. Wir sind am 2. September 1938 freiwillig in die Schweiz eingereist, und ich bin von dem Wunsche geleitet worden, meine Arbeit in einem Lande fortzusetzen, wo die geistige Tätigkeit keinem unmittelbaren oder mittelbaren Zwang ausgesetzt ist. Das hat zur Folge gehabt, daß bald danach meine Bücher beim Verlag in Wien konfisziert und in Österreich und Deutschland verboten worden sind, wodurch ich der Existenzgrundlagen dort völlig beraubt worden bin. Überdies wäre ich bei einer erzwungenen Rückkehr der Gefahr schwerer persönlicher Repressalien ausgesetzt [...]. Es versteht sich von selbst, daß diese Ursachen unmöglicher Rückkehr auch für meine Frau gelten, zumal da ihre Abstammung nicht 'rein-arisch' ist [...]. Ich leide auch sehr - weil ich mit einer Arbeit befaßt bin, die große Vorbereitungen [...] erfordert - unter einer dauernden Ungewißheit des Aufenthaltes, die es mir nicht gestattet, ordentlich Fuß zu fassen und die Stetigkeit der Existenz zu gewinnen, die für eine große Arbeit erforderlich ist; deshalb erlaube ich mir, meiner amtlichen Bitte noch den menschlichen Wunsch hinzuzufügen, daß die Genehmigung meines Aufenthaltes diesmal auf eine möglichst lange Zeit erstreckt werde, falls es unbescheiden sein solle, um das Recht der dauernden Niederlassung zu bitten [...]." (Dinklage 1960, 317 f.)

Im Juli 1939 war das Ehepaar Musil von Zürich, wo sie in einer Pension gelebt hatten, nach Genf übersiedelt. In Genf hatte das "Comité international pour le placement des intellectuels réfugiés" seinen Sitz, das sie, auf Vermittlung von Pfarrer Lejeune, unterstützte. Und noch etwas war ausschlaggebend: Genf befindet sich im äußersten Westen der Schweiz, und Robert Musil wollte so weit wie möglich von Hitlerdeutschland entfernt sein. Mitte 1940 allerdings war Musil dem Machtbereich der Nazis in Genf wieder näher als in Zürich. In Genf nahm das Ehepaar eine Wohnung und richtete sich auf einen längeren Aufenthalt ein. Anfang April 1941 mieteten die Musils ein kleines Haus in der damals vornehmsten Wohngegend der Stadt, in Champel. Ihre finanzielle Situation hatte sich gebessert. Das Genfer Hilfskomitee gewährte ihnen 100 Dollar im Monat, dazu kam noch die Unterstützung mit 50 Dollar durch ein großzügiges Schweizer Ehepaar sowie durch Robert Lejeune mit seinen Freunden, die ebenfalls ungefähr 50 Dollar aufbringen konnten.

Während Musil in Zürich noch einige Intellektuelle und Schriftsteller getroffen hatte, unter ihnen Armin Kesser, Carl Seelig, Rudolf Jakob Humm und Ignazio Silone, blieben seine Außenkontakte, mit einigen wenigen Ausnahmen, in Genf auf Pfarrer Lejeune und den Bildhauer Fritz Wotruba beschränkt. Robert Musil lebte in Genf nahezu völlig isoliert. Er arbeitete am "Mann ohne Eigenschaften" und führte weiterhin Tagebuch, das uns von seiner Einsamkeit Kunde gibt. In den letzten Monaten seines Lebens zog er sich mehr und mehr in sein Haus und seinen Garten zurück. Für den 29. Jänner 1940 gelang es Pfarrer Lejeune in Winterthur eine Lesung zu organisieren, die aber nur von zwanzig Personen besucht wurde. Lejeune und seine Frau waren die einzigen, die Musil am 6. November 1940 zu seinem sechzigsten Geburtstag gratulierten. "Ich selbst habe den Eindruck, es winke gegen ein Ende hin", schrieb Musil im Mai 1941 in sein Tagebuch.

Silone, Ignazio zeigen
Silone, Ignazio zeigen

Robert Musil starb am 15. April 1942 in Genf an einem Schlaganfall. Der "Mann ohne Eigenschaften" blieb unvollendet. Martha Musil bemühte sich für einen Nachlassband um Verleger in der Schweiz, fand aber keinen. Es wurde ihr gestattet, die Texte, an denen Musil bis zuletzt gearbeitet hatte, 1943 im Eigenverlag zu veröffentlichen - dagegen erhob dann der der SSV keinen Einspruch. (zu Robert Musil vgl. auch: Vertlib, In: MdZ 1/97, 22-25)

"Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich Wien nie verlassen. Aber bekanntlich ging es nicht nach mir, und so kam ich im August 1938 als Flüchtling wie ein Dieb in der Nacht in die Schweiz, nach Zürich, wo ich bis Kriegsende als Emigrant lebte und seither als österreichischer Staatsbürger ansässig bin. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß es mir und meinen Schicksalsgenossen, die in der Schweiz Zuflucht fanden, dort auch in unguten Tagen wesentlich besser ging als anderen anderswo. [...] Zusammenfassend: Ich habe mich in Zürich allezeit äußerst wohl, jedoch nie heimisch gefühlt. [...] Als Fremder fühlte und fühle ich mich in der freien Schweiz, die mir vor 35 Jahren das Leben rettete, in jeder Hinsicht geborgen." (Hochwälder 1980, 26 f.)

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